Ptolemaios I. Soter
H) Zusammenfassung
Welthistorisch bedeutsam wurde Ptolemaios I. mit dem Tode Alexanders des Großen, also etwa zu Beginn der zweiten Hälfte seines für damalige Verhältnisse nicht kurzen Lebens. Dementsprechend verteilen sich auch die Belege und das Datenmaterial über die verschiedenen Phasen seines Lebens, indem für die erste Hälfte kaum welche erhalten sind und die meisten davon auch noch durch seine eigene Geschichtsschreibung beeinflußt worden sind. Dennoch können die Jahre zuvor nicht ausgeblendet werden, da der Lagide aufgrund seiner Abstammung, seines Aufwachsens am makedonischen Königshofe und seiner Teilnahme am Alexanderzug und seiner dort vollbrachten Taten zu Babylon als Somatophylax eine Position unter den Generälen und Vertrauten innehatte, die ihn bei der Vergabe der Satrapien an die Großen des Reiches überhaupt zu einer der Personen werden ließ, die für einen höheren Posten in der neuen Reichsverwaltung in Frage kamen.
Hierbei wurde Ptolemaios die Satrapie Ägypten zugeteilt, die er formal als untergebener Satrap unter der formalen Herrschaft von zumindest vorläufig regierungsunfähigen Königen der Argeadendynastie, anfangs vertreten durch Reichsverweser, verwaltete. Anfänglich war er nicht einmal unumstrittener Machthaber in seiner eigenen Satrapie, da von den durch Alexander persönlich eingesetzten Verwaltern Ägyptens Kleomenes immer noch regierte und dieser sich die Kontrolle der gesamten Satrapie Ägyptens angeeignet hatte. Auch wenn aufgrund der erhaltenen Quellen eine Rekonstruktion äußerst schwerfällt, so kann jedoch festgestellt werden, daß Kleomenes von Alexander in seiner de facto eingenommenen Position als Satrap Ägyptens zumindest toleriert worden war und daß Ptolemaios ihn als gefährlichen Konkurrenten auch relativ rasch eliminierte, zumal da dieser ein Werkzeug von Intrigen der anderen Diadochen hätte darstellen können. Dabei können die genaueren Umstände dieses Vorganges aufgrund von propagandistischen Verformungen nur noch ansatzweise festgestellt werden, aber anscheinend nutzte Ptolemaios die Unbeliebtheit einiger an sich nicht unbedingt illegaler Amtshandlungen des Kleomenes aus, um ihm mittels einiger Verdrehungen des Tatbestandes den Prozeß zu machen.
Das Gesamtreich sollte sich aber in den nächsten Jahrzehnten immer weiter auflösen und immer fiktiveren Charakter erhalten, indem zum einen die Nachfolger Alexanders, die Diadochen, faktisch immer mehr wie selbständige Herrscher agierten und zum anderen die legitime Herrscherdynastie in mehreren Stufen vollkommen ausgelöscht wurde. Bei der ersten Entwicklung war Ptolemaios beteiligt, indem er von Anfang an den Partikularismus und die weitestgehende Selbständigkeit der Satrapien unter Abschaffung der Monarchie der Argeaden propagierte und jeglichen Anspruch der Vorherrschaft anderer unterminierte und bekämpfte, wozu zunächst die Reichsverweser, dann aber v.a. Antigonos Monophthalmos als allzu mächtiger Kontrahent mit dem Ziel der Vorherrschaft über die Gebiete des ehemaligen Alexanderreiches zählten. Hierbei konnte sich Ptolemaios in den Kriegen gegen seine Mit-Diadochen und insbesondere gegen die Aspiranten auf eine Vorherrschaft in den die nächsten Jahrzehnte andauernden Kriegen, die die Zeitgeschichte seiner zweiten Lebenshälfte ausmachen sollten, nicht nur seine Herrschaft über das ihm ursprünglich zugeteilte Gebiet erhalten, sondern sie, z.T. auch auf Kosten der anderen Satrapien des Alexanderreiches, um bedeutsame Vorposten, insbesondere die Kyrenaia, Zypern und Koilesyrien, erweitern und nach innen und außen hin festigen. Zugleich bewirkte seine Außenpolitik, v.a. die Politik der Vorbastionen, auch, daß das ägyptische Kernland seit der Eroberung durch Alexander von den Auswirkungen gegnerischer Heere praktisch verschont blieb und sich somit ungestört entwickeln konnte. Um 306-304 wurde er auch auf formaler Basis zu einem souveränen König seines eigenen Reiches, indem er wie seine Kontrahenten schließlich auch die Fiktion der weiteren Existenz des Alexanderreiches aufgab und sein eigenes Reich begründete. Bei seinem Tode hatte sich sein Reich schon zu einem der klassischen hellenistischen Staaten mit gefestigten inneren und äußeren Strukturen entwickelt, so daß sein Sohn, Ptolemaios II. Philadelphos, abgesehen von gewissen innerdynastischen Problemen, die Herrschaft ohne bedeutsame Wirren und Probleme übernehmen und die Dynastie der Ptolemaier bzw. Lagiden über das Reich herrschen konnte, bis es als letztes der Diadochenreiche von Rom als Provinz übernommen wurde.
Mit Ägypten als seinem Kernland übernahm Ptolemaios ein Gebiet, das nahezu vollkommen von den Vertretern der klassischen Kultur des Pharaonenreiches geprägt war. Diese war für die meisten Griechen vollkommen fremdartig, indem sie einerseits eine große Bewunderung für diese hegten, andererseits auch auf sie als eine von Barbaren herabschauten. Dennoch mußte jeder Herrscher dieses Landes den mentalen Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung entgegenkommen, zumal da die gesamte Produktion auf ihren Schultern ruhte und sie bei einer Rebellion aufgrund ihrer ausgeprägten Überzahl sehr unangenehm werden konnte. So mußte er den Ägyptern und v.a. den in der Bevölkerung äußerst mächtigen Priesterschaften als der legitime Pharao erscheinen. Dies bedeutete wiederum, daß er sich in die Konzeption der Maat und ihr Normensystem einfügen und somit als Mittler zwischen Göttern und Menschen ihre Maßstäbe in seinen Handlungen den Einheimischen gegenüber, aber auch die Einhaltung seiner kultischen Verpflichtungen beachten mußte. Hierzu gehörten z.B. die Beibehaltung alter Gesetze, aber v.a. finanzielle Zuwendungen an die Heiligtümer und Priesterschaften. Schon Alexander war sich während seiner Anwesenheit in Ägypten der Problematik der Anerkennung als ägyptischer Pharao bewußt gewesen, als er sich durch das Orakel von Siwa als legitimer Nachfolger der letzten Pharaonen hatte anerkennen lassen, wodurch er sich von den in Ägypten verhaßten persischen Fremdherrschern distanziert hatte, als er u.a. durch Opfer die Pflichten eines Pharaos ausgeübt und somit seine Position de facto eingenommen und als er die fünfteilige Königstitulatur angenommen hatte. Ptolemaios übernahm nicht sofort den formalen Titel eines Pharao, sondern achtete auch in seinen späteren Datierungen auf die formale Herrschaft Philipps III. Arrhidaios und Alexanders IV., um jedoch schon von Anfang an die Funktionen eines faktischen Pharao auszuüben. Auch der Lagide nahm schließlich eine formale Königstitulatur an, die seine Legitimität betonte, ließ sich in den ägyptischen Königskult integrieren und schloß sich an die Ideologie der Perservertreibung an, die er durch den Aspekt der Rückholung von durch die Perser geraubten Kultbildern erweiterte. Außerdem engagierte er sich im religionspolitischen Bereich. Denn ein gutes Einvernehmen mit den Priesterschaften war aufgrund ihres immensen Einflusses auf die einheimische Bevölkerung notwendig, wobei dieses v.a. durch die Versorgung der Heiligtümer und Stiftungen an diese bis hin zu reger Bautätigkeit gewährleistet werden konnte. Hiermit begann er schon vor der formalen Übernahme des Pharaonentitels, indem er seine Bauten zuerst unter den Namen der jeweils formalen Titelträger errichten ließ. Zugleich baute Ptolemaios seine Herrschaft auf der Nachfolge Alexanders auf, indem er sich als legitimer Nachfolger dieses Mannes, der von göttlicher Natur war und die Perser vertrieben hatte, darstellte, weswegen er auch immer bis in seine eigene Datierung hinein den Anschein der formalen Herrschaft der beiden Nachfolger Alexanders wahrte. Insbesondere den bisherigen Oberschichten ermöglichte der Lagide, sich mit den neuen Herren zu arrangieren, indem sie einerseits seine Regierungszeit als eine Zeit der Wiederkehr der Maat nach einer Phase des Chaos betrachten und andererseits durch Zusammenarbeit mit dem neuen Regime ihre alten Positionen im wesentlichen beibehalten konnten. Jedoch blieben v.a. in den folgenden Generationen, insbesondere als die Lebensbedingungen für die allgemeine Bevölkerung unerträglicher wurden, Polemiken gegen die griechischen Fremdherrscher nicht aus.
Trotz der großen Bedeutung des ägyptischen Bevölkerungsanteils im Kernland baute Ptolemaios I. jedoch seine Herrschaft auch wesentlich auf einer griechisch-makedonischen Oberschicht auf, die das Reich verwaltete, es durch ihre Anwesenheit stabilisierte und den Handel hauptsächlich betrieb und somit das Rückgrat der lagidischen Herrschaft bildete, so daß Ptolemaios auch hier gewisse Rücksichten walten lassen mußte. Im griechisch-makedonischen Bereich befand sich jedoch eine neue Konzeption des Königtums noch in der Entwicklung, da es in der griechischen Welt für Jahrhunderte nur eine periphere Erscheinung gewesen war. Dementsprechend bestand v.a. im Bereich des äußeren Erscheinungsbildes ein Anknüpfungspunkt im heroischen Königtum der homerischen Epen. Das direkte Vorbild verkörperte sich aber in dem Königtum Alexanders des Großen. Entsprechend seinem Konzept des „speergewonnenen“ Landes baute das neue hellenistische Königtum auf der übermenschlichen Leistung des Herrschers auf, die die Leistungen der anderen in einem Maße übertraf, daß diese sich dem Herrscher freiwillig unterordneten. Damit verbunden war auch eine Loslösung von der klassischen Bindung des Königtums an eine bestimmte ethnische oder regionale Einheit, indem der Herrscher über die Menschen und die Regionen herrschte, die er zu beherrschen in der Lage war. War der Herrscher auch formal an keine Gesetze gebunden, so wurden von ihm doch gewisse Tugenden erwartet, indem er sich um seine Untertanen, die sich seiner Herrschaft unterworfen hatten, zu kümmern und zugleich aber auch die ehemaligen Aufgaben der Wohlhabenden und Regierenden der griechischen Polis zu übernehmen hatte. Außerdem hatte er seine Tüchtigkeit immer wieder durch militärische Siege unter Beweis zu stellen. Die übermenschlich erscheinenden Anforderungen an den Herrscher führten aber auch dazu, daß er als den Göttern gleich angesehen und wie ein Gott verehrt wurde. Dabei handelte es sich um eine sich schon länger abzeichnende Entwicklung in der griechischen Welt, in deren Rahmen die Grenzen zwischen Göttlichem und Menschlichem immer unschärfer wurden. Unter Ptolemaios I. fanden diese kultischen Ehrungen auch noch auf Basis von regionalen Kulten statt, die aus Dankbarkeit für besondere Leistungen (wie z.B. Unterstützung von Rhodos gegen Demetrios) eingerichtet worden waren. Schließlich baute Ptolemaios I. auch als makedonischer Herrscher auf der Göttlichkeit und dem Charisma Alexanders auf, indem er die Leistungen, aber auch die göttliche Ehren Alexanders hervorhob, um selber wiederum an diese anzuschließen und dadurch selber „Göttlichkeit zu gewinnen“. In diesem Sinne raubte er auch die Leiche Alexanders des Großen und schrieb eine Geschichte des Alexanderzuges, in der er auch seine eigene Rolle betonte. Darauf sollte auch Ptolemaios II. Philadelphos wiederum aufbauen, um somit durch den Dynastiekult die Ererbung der Tüchtigkeit, Göttlichkeit und des Charisma von seinen Vorgängern beanspruchen zu können. Im Rahmen dieses Dynastiekultes erhielt Ptolemaios I. auch erst den Titel des Σωτήρ als formalen Kultnamen.
Zugleich kam es auch v.a. in der Zeit der früheren Ptolemaier niemals zu einer weiterreichenden Vermischung von einheimischen und griechisch-makedonischen Bevölkerungselementen, so daß sich die Königsherrschaft der Ptolemaier durch ein doppeltes Königtum auszeichnete, indem die beiden kulturellen Elemente im großen und ganzen parallel nebeneinander existierten und der König eine doppelte Innen- und Kulturpolitik zu betreiben hatte. Dies schloß jedoch in vielen Bereichen nicht aus, daß v.a. in der Regierungspraxis beide kulturellen Elemente Bereiche mit gegenseitigen Überschneidungen aufwiesen bzw. einzelne Synkretismen oder Angleichungen beobachtet werden können. Denn in der praktischen Ausformung stellten beide Konzeptionen trotz ihrer unterschiedlichen weltanschaulichen Grundlagen ähnliche Anforderungen an den König und seine Herrschaft wie z.B. die Unterwerfung der Feinde und die Wohltätigkeit, so daß sie in vielen Bereichen direkt bzw. durch interpretationes aneinander angeglichen werden konnten, wie auch die Kulttitel der Ptolemaier in die jeweils andere Sprache übersetzt wurden.
Im Bereich der Verwaltung der Chora Ägyptens kann, obwohl der bei weitem größte Teil der erhaltenen Papyri erst aus den Regierungszeiten des Ptolemaios II. Philadelphos und seiner Nachfolger stammt, festgestellt werden, daß Ptolemaios I. im wesentlichen die traditionellen Grundstrukturen des pharaonischen Ägypten beibehielt, wie er sie mutmaßlich schon von den Persern übernommen hatte, und zwar des öfteren unter Beibehaltung der alten Eliten. Aber es lassen sich auch erste Tendenzen zur speziell ptolemaiischen Ausprägung des Wirtschaftssystems in Richtung eines „Staatsmerkantilismus“ feststellen, wobei hier das deutlichste Zeichen in der Einführung eines neuen Münzfußes unter Abwendung vom attischen besteht. Aufgrund der Außenpolitik und natürlicher Rohstoffvorkommnisse lassen sich Handelsbeziehungen und Warenbeschaffungen rekonstruieren wie z.B. die Bedeutung des Handels zwischen Ägypten und Rhodos, aber auch die Bedeutung der Außenbesitzungen angesichts der Knappheit etlicher Rohstoffe wie Holz und Eisenerz in Ägypten. Relativ gut kann auch die Einführung der Verteilung von Landlosen an griechisch-makedonische Soldaten unter Ptolemaios I. belegt werden, die den Bedarf an teuer zu bezahlenden Söldnern senkte und die Soldaten stärker an ihren König band, zugleich aber auch für die Anwesenheit von griechisch-makedonischen Elementen auf dem Lande sorgte, so daß Ptolemaios weitestgehend auf die Errichtung von Garnisonen innerhalb Ägyptens verzichten konnte. Hier wie auch in anderen Bereichen der Verwaltung und der Gesellschaft zeigt sich auch wieder die Teilung zwischen Einheimischen und Einwanderern, indem vom Grundsatz her die einheimische Bevölkerung die materiellen Grundlagen des ptolemaiischen Wirtschafts- und Finanzwesens schuf, während die Griechen und Makedonen den Wohlstand und die Ressourcen verwalteten und v.a. die Heeresmacht stellten, ohne daß deswegen Produktivkräfte aus Ägypten selber abgezogen werden mußten. Außerdem ermöglichte dieses System den Griechen und Makedonen durch ihr Monopol in der höheren Kriegstechnik eine stärkere Position gegenüber den kriegsunerfahrenen Einheimischen einzunehmen. Dabei konnte diese Struktur im Bedarfsfalle aber auch durchbrochen werden, indem z.B. in der Schlacht bei Gaza (312) ein ägyptisches Kontingent mitkämpfte. Ein weiteres Element innerhalb der Staatsverwaltung waren die griechischen Städte, die abgesehen von Naukratis, Alexandreia und Ptolemais außerhalb des Kernlandes lagen und rechtlich autonom waren, aber sich unter effektiver Kontrolle des Königs befanden, wobei uns die von Ptolemaios I. verordnete Verfassung von Kyrene überliefert ist. Diese weist die gängigen Strukturen einer autonomen Polis auf, wobei der Lagide sich formal lediglich die Bestimmung von einem der sechs Strategen vorbehielt, während die eigentliche Machtsicherung auf realpolitischer Basis erfolgte, indem sich eine ptolemaiische Garnison vor Ort befand.
Ein weiterer Glanzpunkt dieser Periode stellt der Aufbau Alexandreias zur repräsentativen Hauptstadt des Ptolemaierreiches dar. Alexandreia war von Alexander während seines Aufenthaltes in Ägypten gegründet worden, während Kleomenes für den Aufbau der Stadt gesorgt hatte, aber erst unter Ptolemaios wurde Alexandreia zu einem Ort ptolemaiischer Prachtentfaltung, in der die makedonischen Könige durch Prestigeobjekte und großzügig angelegte Palastanlagen ihren Wohlstand und ihre Macht zur Schau stellten. Alexandreia entwickelte sich dabei praktisch von Anfang an zu einer Stadt eines neuen, vorher in der griechischen Welt unbekannten Typs, nämlich weg von der Polis als politischer Gemeinschaft von Bürgern zu einer kosmopolitischen Metropole mit urbanistischen Strukturen. Auch wenn die Verfassung theoretisch noch auf einer griechischen Bürgerschaft aufbaute und die alten Institutionen einer traditionellen Polis besaß, so war sie de facto eine Königs- und Handelsstadt, in der z.B. die Agora nicht mehr der Platz für politische Institutionen und Kulte, sondern ein Handelszentrum war und die königlichen Palastanlagen das eigentliche Zentrum bildeten. Die Erhebung dieser Stadt zum Regierungssitz bedeutete zugleich eine Hinwendung zur mediterranen und damit auch griechischen Welt und eine Abwendung von der ägyptischen Tradition, wie sie durch Memphis repräsentiert wurde, das allerdings im Bereich der ägyptischen Belange immer noch kultische Hauptstadt blieb.
Ptolemaios ging in die Kulturgeschichte aber auch als der Begründer des Museion von Alexandreia mit seiner weltberühmten Bibliothek ein, auch wenn es wohl erst unter Ptolemaios II. Philadelphos vollendet wurde. Dabei zeichnete sich diese frühe Phase der Bibliothek durch eine starke Verbindung mit dem Peripatos, der Schule des Aristoteles, einem seiner mutmaßlichen Lehrer am Hofe Philipps II., aus, indem z.B. Demetrios von Phaleron, der mutmaßliche geistige Vater, aber auch einige der ersten dort tätigen Gelehrten dieser Schule entstammten. Das Museion, das sich formal als Kultgemeinschaft zur Musenverehrung organisierte, diente v.a. repräsentativen Zwecken, so daß die Gelehrten auch nicht zu praktischem Erfolg in der Technik verpflichtet waren. Die Begründung und Förderung des Museion dürften wohl im Rahmen eines königlichen Programmes zu sehen sein, in dem der Monarch die griechische Kultur zu repräsentativen Zwecken benutzte und die Zugehörigkeit zur griechischen Kulturwelt betonte, zumal da Ptolemaios seinen Rivalen gegenüber immer diese in der Nachfolge Alexanders beweisen mußte. Andererseits sollten durch diese Förderungen des Griechentums auch die kulturellen Bedürfnisse der griechischen Oberschichten gedeckt werden und zugleich das griechische Element inmitten der fremden Kultur über die Generationen hinweg gestärkt werden. Dabei wurde jedoch im Sinne der Stabilität des inneren sozialen Aufbaus des Reiches niemals beabsichtigt, die Ägypter zum Griechentum zu bekehren, sondern sie wurden in ihrer eigenen Kultur gefördert, so daß die Trennung der Ethnien, auf der der Staat aufbaute, aufrechterhalten wurde.
Ein besonderes Phänomen der Herrschaft des Ptolemaios stellt die Einführung des Sarapis-Kultes dar. Dieser Kult knüpfte an den traditionellen Kult des Osiris-Apis von Memphis an, der dem Bereich des in Ägypten weitverbreiteten Osiris-Kultes angehörte und schon zuvor griechische Anhänger gefunden hatte. Dabei stellte die Einführung des Sarapis-Kultes keine direkte Übernahme des Osiris-Apis-Kultes dar, sondern Ptolemaios ließ der Überlieferung nach im Rahmen der Stiftung des neuen Kultes eine Kultstatue, die angeblich aus Sinope am Schwarzen Meer stammte, nach Alexandreia transportieren. Außerdem wies die neue Gottheit neben ihren ursprünglichen ägyptischen Zügen auch Eigenschaften griechischer Gottheiten, v.a. Plutons, auf. Hierbei mußten diese Eigenschaften nicht immer von der ursprünglichen Gottheit direkt herstammen, sondern konnten das Ergebnis von interpretationes sein, während jedoch vollkommen artfremde Identifikationen und Erweiterungen nicht vorkamen. Später wurde dabei gern behauptet, daß Sarapis keine ägyptische Gottheit sei, sondern aus Sinope, also griechischem Kulturgebiet, entstamme. Zugleich wurde die neue Gottheit auch von den Einheimischen kaum beachtet und in dieser Form niemals in Heiligtümern ägyptischen Stils verehrt, da sie in ihm nur eine Variante des Osiris-Kultes sahen. Damit kann die Behauptung, daß mit dem Sarapis-Kult ein den Einheimischen und den Besatzern gemeinsamer Staatskult geschaffen werden sollte, nicht in dieser pauschalen Form stehenbleiben. Allerdings wurde durch die Einführung des Sarapis-Kultes ein Staatskult geschaffen, in dem die Ägypter eine Sonderform einer traditionellen einheimischen Gottheit sehen konnten, während die Griechen Sarapis dennoch als eine Gottheit betrachten konnten, die aus der griechischen Kulturwelt entstammte. Aufgrund ihres Charakters konnte sie auf beiden Seiten auch mit traditionellen Mysterienkulten assoziiert werden. Schließlich bot die Gottheit den Griechen, die mit dem Verlassen ihrer Welt der Polis auch ihre angestammte Kultgemeinschaft mit den ihr eigenen Gemeinschaftskulten verloren hatten, einen Ersatz für diese in Form eines umfassender angelegten Staatskultes. So zeichnet sich die Überlieferung über die Einführung des Sarapis-Kultes dadurch aus, daß sowohl der ägyptische Priester Manethon als auch der attische Seher Timotheos eine bedeutende Rolle bei dieser spielten.
Insgesamt kann die Ägyptisierungstheorie, gemäß der Ptolemaios I. anfangs eine bewußte Politik der Ägyptisierung betrieben habe, um dann auf eine Gräzisierungspolitik umzuschwenken, als unhaltbar zurückgewiesen werden, indem seine Politik als eine beschrieben werden muß, in der der Lagide eine Personalunion von griechisch-makedonischen Basileus und ägyptischem Pharao ausübte und dementsprechend eine ägyptische Politik den Ägyptern gegenüber und eine griechisch-makedonische Politik den Griechen und Makedonen gegenüber betrieb.
Schlußendlich kann Ptolemaios I. aus historischer Sicht als eine Person charakterisiert werden, die in einer Zeit des Umbruches die ihm gegebenen Mittel ausnutzte, um innerhalb seines Herrschaftsbereiches eine neue Epoche zu begründen, in der Ägypten eines der mächtigsten und wohlhabendsten Reiche und Zentrum eines neuen kulturellen Aufschwunges werden sollte, der weit über eigene Regierungszeit des Lagiden und über die Grenzen seines Reiches hinaus wirken sollte.1 So wußte schon Theokrit den ersten Ptolemaier als einen Herrscher zu rühmen, der οἷος μὲν ἔην τελέσαι μέγα ἔργον | […] ὅτε φρεσὶν ἐγκατάθοιτο | βουλὰν ἃν οὐκ ἄλλος ἀνὴρ οἷός τε νοῆσαι (Theokr. 17,13-15).
Anmerkungen:
1 s. Hölbl (1994), p. 31 („So hat Ptolemaios I. eine neue, dreihundertjährige Epoche der ägyptischen Kultur-, Geistes- und Kunstgeschichte heraufgeführt, die als relativ geschlossene Einheit vor uns steht.“) & Ellis (1994)c, p. IX („He [Ptolemy] concentrated all his considerable skill and intelligence on the preservation, the development, and the promotion of Egypt: of a new Hellenized Egypt, centered in Alexandria which still bears his leader’s name but which, likewise, still bears Ptolemy’s stamp.“).