Ptolemaios I. Soter
Christian A. Caroli:
Ptolemaios I. Soter – Herrscher zweier Kulturen
Konstanz 2007 (badawi - artes afro arabica)
Umfang: XIV + 414 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-05-2
Preis (bis 10/2015): EUR 59,99 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015 bis 12/2022): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 01/2023): EUR 19,95 (inkl. 7% MwSt.)
B) Rahmenhandlung und Außenpolitik einschließlich der Verwaltung der Provinzen
IV.) Außenpolitische Gesamtbeurteilung
Am Ende der Herrschaft des Ptolemaios I. stellte sein Reich eine Macht von großer Bedeutung im Mittelmeerraum und mit großen Außenbesitzungen dar. Hierbei war seine Politik nicht nur auf den Besitzerhalt, sondern auch eindeutig auf die Vergrößerung des Machtbereiches in alle Richtungen ausgerichtet.567 Insbesondere war er darauf bedacht, das ägyptische Stammland seines Reiches durch einen möglichst vollständigen und weitreichenden Gürtel von Außenbesitzungen zu umgeben und hierbei v.a. eine Thalassokratie im östlichen Mittelmeerbereich zu errichten. In diesem Sinne war Ägypten am Ende seiner Regierungszeit westlich und östlich durch die Vorbastionen der Kyrenaia und Koilesyriens gegen direkte Angriffe zu Lande und sein Machtbereich durch die Kontrolle des östlichen Mittelmeerbeckens mit Hilfe von strategisch bedeutsamen Besitzungen geschützt.568 Dabei nahm er auch die Verteidigungspolitik der Saiten unter Necho II. auf, der sich genötigt gesehen hatte, einen Schutzgürtel aufzubauen, der Syrien und Zypern und ein Bündnis mit Kyrene beinhaltet hatte,569 wobei diese Politik zugleich an die Philipps II. erinnerte, die zu einem großen Teil in der Machtkonsolidierung durch die Errichtung von strategischen Vorposten bestanden hatte. Diese Politik zeigte ihren Erfolg v.a. darin, daß das ägyptische Stammland während der Regierungszeit des Ptolemaios I. äußerst selten von den Kriegshandlungen direkt betroffen war, so daß das Land in dieser Zeit die äußeren Voraussetzungen für eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte erhielt.570 Allerdings sollte im frühen 3. Jh. noch ein neuer Unruheherd in Form der südlich angrenzenden Nubier und des meroitischen Gebietes entstehen, der noch nicht durch Vorbastionen abgesichert worden war. So kam es auch recht bald im nubischen Grenzgebiet bei Syene zu Überfällen durch dortige Nomaden,571 die u.U. den Anlaß für eine um 275 durchgeführte Expedition ins unternubische Gebiet (Diod. 1,37,5) dargestellt haben dürften.572
Allerdings scheint Ptolemaios aufgrund der Klausel im Vertrag von Triparadeisos in seinen ersten Jahren eine weitere Ausbreitung seines Machtbereiches nach Westen auch auf Kosten der Großmacht Karthago nicht ausgeschlossen zu haben.573 Hierbei handelte es sich um eine Option zu einem Ausbau seiner Herrschaft in Gebieten, die von seinen Rivalen in keiner Weise beansprucht wurden und somit im Falle einer stabileren Konstellation unter den Diadochen die Begründung eines Reiches im Westen ermöglicht hätten. Es kann sich aber auch um einen Anspruch propagandistischen Charakters gehandelt haben, indem der Lagide die Aufgabe der Ausweitung des Alexanderreiches nach Westen in sein offizielles Programm aufnahm.
Zugleich erwies sich Ptolemaios auch als „ein Meister der Selbstbeschränkung“, indem er sich in der Regel an realistischen Zielen versuchte und v.a. eine gewisse Selbstbeschränkung an den Tag legte.574 In diesem Sinne charakterisiert Polybios im Zusammenhang mit der Schilderung des Regierungsantrittes des Ptolemaios IV. Philopator die Außenpolitik der vorangegangenen Ptolemaier als eine, bei der Eroberungen v.a. eine bessere defensive Position Ägyptens garantieren sollten, so daß dieses Gebiet möglichst niemals selber gefährdet sein würde.575 Auch gehörte zu seiner Außenpolitik, daß er Rhodos z.B. nicht selber unter seine Vorherrschaft zu bringen versuchte, sondern mit dieser Insel gute Beziehungen pflegte, so daß sie ihm als Handelsknotenpunkt einen wichtigen Partner seines ökonomischen Wohlstandes bildete. Allerdings bestand ein Grund für seine diesbezügliche Zurückhaltung wohl auch darin, daß solche Hafenstädte auf gebirgigen Inseln praktisch nicht eingenommen und kaum zerniert werden konnten.576
Insbesondere versuchte Ptolemaios niemals gegen ein Machtzentrum direkt vorzurücken und vermied somit grundsätzlich einen Kampf um alles oder nichts.577 Vielmehr richteten sich diejenigen seiner Eroberungsexpeditionen, in denen er nicht reagierte, sondern agierte, v.a. gegen Bereiche, in denen keine stärkere Macht existierte bzw. die Mächte sich gegenseitig aufrieben und somit ein Machtvakuum produzierten wie z.B. Kyrene und Griechenland. Auch pflegte er Unternehmungen im Ernstfall abzubrechen, bevor sie wirklich für ihn verloren waren, um somit einer ultimativen Auseinandersetzung zu entgehen.578 Lediglich ein einziges Mal ging Ptolemaios freiwillig auf größere Gefechte ein, nämlich bei seinem Syrienfeldzug von 312/11, bei dem er auch ein ganzes Söldnerheer verlor,579 sich aber letztendlich auch wieder vor der zu erwartenden endgültigen Entscheidungsschlacht gegen Antigonos Monophthalmos zurückzog. Allerdings mußte der Lagide sich wie seine Kontrahenten mit der Realität konfrontiert sehen, daß er seine militärische Macht auf Heere stützte, die im wesentlichen aus Söldnern bestanden, für die es wiederum keinen ideellen Hintergrund gab, für die Sache des Königs zu sterben, wenn sie keine Aussicht mehr zu haben schien. Auch dürfte allein schon die Katastrophe des Perdikkas eine deutliche Warnung dargestellt haben, da dieser bei seinem direkten Vormarsch gegen Ptolemaios in Ägypten im ptolemaiischen Machtzentrum gescheitert war und seine Herrschaft sich letztendlich vollkommen aufgelöst hatte, wozu später noch Antigonos Monophthalmos hinzukommen sollte, dessen Dynastie auch ihr Reich verlor und dessen Nachfahren sich erst wieder ein eigenes Herrschaftsgebiet sichern mußten.
In diesem Sinne focht der Lagide Kriege gegen mächtigere Gegner, bei denen es sich nicht um periphere Auseinandersetzungen handelte, immer in Koalitionen aus, die in der Form von alle bzw. die meisten gegen einen bzw. wenige zu funktionieren pflegten. Allerdings stellte die Tatsache, daß Ptolemaios sich hierbei „jeweils der Koalition [anschloß], die am meisten Aussicht auf Sieg hatte“,580 nicht den absoluten Hauptaspekt dar, indem er gegen allzu mächtige Gegner auch nur in die Koalitionen gegen diese beizutreten pflegte, jedoch niemals mit einem allzu mächtigen Kontrahenten koalierte, auch wenn seine Situation nicht aussichtslos war wie im Falle des Antigonos Monophthalmos, dessen Überwindung selbst in einer allumfassenden Koalition der Gegner ein Kraftakt gewesen war. Denn grundsätzlich bekämpfte Ptolemaios direkt oder indirekt jegliche Macht, die in der Lage hätte sein können, die Vorherrschaft im Bereich des ehemaligen Alexanderreiches zu beanspruchen, und betonte zumindest faktisch ihnen gegenüber die Souveränität Ägyptens gegenüber den Machtansprüchen anderer.581 So war der Überlieferung nach auch er es gewesen, der als erster bei den Beratungen nach dem Tode Alexanders des Großen zu Babylon offen die Umformung des Reiches in eine Art losen Staatenbundes der Generäle des verstorbenen Königs propagiert hatte.582 Hierbei arbeitete auch die Zeit für ihn, da sich mit ihr allmählich die zentrifugalen Kräfte durchsetzen konnten, bis sie bei der Schlacht von Ipsos gegen den letzten bedeutsamen Verfechter eines einheitlichen Reiches, nämlich Antigonos Monophthalmos, gewonnen hatten.583 Als danach die letzten ernstzunehmenden Kandidaten für eine Herrschaft über das Gesamtreich ausgeschieden waren und Ptolemaios die Gebiete besaß oder leicht erlangte, die für ihn unbedingt erstrebenswert gewesen waren, beteiligte er sich mutmaßlich kaum noch an einem der Diadochenkriege in besonderem Ausmaße, wie er sich auch schon bei dem finalen Krieg gegen Antigonos Monophthalmos nur marginal engagiert hatte.584
Hierbei pflegte der Lagide immer seine eigenen Heeresressourcen soweit wie möglich zu schonen. So nutzte er v.a. bei Vormärschen seiner stärkeren Gegner gegen Ägypten auch die Tatsache aus, daß praktisch alle Heere der Diadochen Söldnerheere waren bzw. der Anteil der Söldner in ihnen nicht unbedeutend war, indem er des öfteren seinen Gegnern die Soldaten durch höheren Sold nach und nach abkaufte.585 Auch gab es unter ihm Ansätze zu einer Form von Stellvertreterkriegen, indem er durch die Unterstützung der Gegner seiner Gegner versuchte, den gemeinsamen Feind zu schwächen, ohne eigene Ressourcen in größerem Maße einsetzen zu müssen. Der Idealfall bestand natürlich darin, daß sich mehrere seiner Kontrahenten gegenseitig zermürbten, so daß dann er selber ohne allzu großen Einsatz und ohne größeres Risiko einen größtmöglichen Gewinn einfahren könne.586 Sein berühmtestes Beispiel für einen solchen „Stellvertreter“ war hierbei Seleukos, der wesentlich zum Ende der überragenden Machtstellung des Antigonos Monophthalmos beitrug. Gleichzeitig betrieb er aber keine aggressive Politik des alle gegen den Mächtigsten, sondern trat meist schon entstandenen Koalitionen bei, so daß er nicht selber als der Kriegstreiber erschien und durch den Eintritt in schon vorgeformte Bündnisse auch ein geringeres Risiko einging, auf einen Krieg hinzutreiben und dann bei einem Mißlingen des Aufbaus einer Koalition allein gegen den Mächtigsten dazustehen. Schließlich bediente der Lagide sich in einem hohen Maße der Heiratspolitik, indem er, abgesehen von den Seleukiden, praktisch mit jeder relevanten Macht seiner näheren Umgebung, mit der er konfrontiert wurde und die zu seinem außenpolitischen Alltag gehörte, eine dynastische Verbindung aufbaute. Hierbei setzte er sogar die aus den früheren Ehen seiner Gattinnen mitgebrachten Stiefkinder ein.587
Trotz seiner Alexanderideologie besaß Ptolemaios immer genügend Vernunft, zumindest auf die Beherrschung des gesamten Alexanderreiches und den offenen Anspruch hierauf zu verzichten.588 Dieser Politik entsprachen allein schon die geographischen Eigenschaften Ägyptens, nämlich v.a. seine Abgeschlossenheit und isolierte Lage gegenüber dem Rest der Oikumene, wobei von manchen Forschern angenommen wird, daß der Lagide sich bei den Verhandlungen in Babylon im Sinne einer partikularistischen Politik um diese Satrapie bemüht hatte.589 In diesem Sinne lehnte er nach dem Fall des Perdikkas die ihm angetragene Reichsverweserschaft ab, deren Titel zumindest den formalen Anspruch der Oberherrschaft über die anderen Diadochen bedeutet hätte. Denn dieser Anspruch hätte ihm alle seine Konkurrenten und Mitfeldherren zu offenen Feinden gemacht, die sich dann wohl gegen ihn verbündet und ihm den Krieg erklärt hätten, wie sie es auch unter seiner eigenen Teilnahme gegen Perdikkas getan hatten und es noch gegen Polyperchon und Antigonos Monophthalmos geschehen sollte.590 Hinzu dürfte noch gekommen sein, daß er keine Zukunft für das Gesamtreich gesehen haben dürfte, indem die Beherrschung und die Aufrechterhaltung der Einheit eines Machtgebildes von der Größe des Alexanderreiches mit zu großen Schwierigkeiten verbunden war.591 So sah sich z.B. auch Antigonos Monophthalmos ab dem Moment, an dem er nach Europa und in den Mittelmeerraum übergriff, praktisch genötigt, die Verwaltung und die Kriegsführung im westlichen Bereich im wesentlichen seinem Sohn zu überlassen, während er sich selber um den östlichen Teil seines Reiches kümmerte, so daß manche Forscher in diesem Reich in seiner Glanzzeit ab 307 ein faktisches Gebilde aus zwei Unterreichen sehen, das hauptsächlich durch das Vater-Sohn-Verhältnis beider Herren zusammengehalten wurde.592 Aber auch die nachfolgende Geschichte des Seleukidenreiches, das z.B. unter Seleukos II. und Antiochos Hierax, aber auch schon unter Antiochos I. andauernd mit zentrifugalen Bewegungen seiner Randprovinzen zu kämpfen hatte,593 sollte noch zeigen, daß mit den damaligen Mitteln ein Staat dieser Größenordnung und Vielfältigkeit an Völkern und Kulturen kaum zusammengehalten und in seiner Vollkommenheit beherrscht werden konnte. Zugleich mußte ein Reich dieser Größenordnung auch immer eine außerordentlich große Angriffsfläche für Gegner von außen bieten, zumal da der Herrscher nicht überall gleichzeitig sein konnte und eine Heeresverschiebung von einem Ende zum anderen immer langwierig sein mußte.594
Dennoch unternahm Ptolemaios immer wieder Versuche zur Etablierung seiner Herrschaft in Bereichen, bei denen der strategische Sinn nicht unbedingt durchschaut werden kann, wie z.B. bei seinen Unternehmungen in Griechenland und Kleinasien. Denn diese boten zuerst einmal lediglich eine vergrößerte Angriffsfläche für den Gegner und konnten nur umständlich versorgt werden, da die Versorgung auf dem Landwege selbst bei einem vollständigen Besitz der Küste zu lange gedauert und jeglicher Versorgungstrupp von der Flanke her angreifbar gewesen wäre, während die Unterstützung auf dem Wasserwege durch Unwetter und schlechte See stark beeinträchtigt werden konnte. Daher scheinen zunächst einmal lediglich die größeren Inseln, die im Notfall eine Weile ohne Zulieferungen überleben können und bei denen der Feind bei einer Eroberung mit seiner Flotte auf dieselbe Situation zur See angewiesen ist, bzw. tiefergehender Landbesitz einen größeren strategischen Sinn zu besitzen. Deshalb rufen die Unternehmungen des Ptolemaios v.a. im Bereich des griechischen Mutterlandes von 308 in Verbindung mit der intensiven Werbung um Kleopatra bei manchen Forschern die Vermutung hervor, daß der Lagide in dieser Phase seiner Außenpolitik über die Erlangung der Vorherrschaft über das gesamte Alexanderreich zumindest nachdachte, was grundsätzlich durch den Raub der Leiche Alexanders des Großen unterstützt zu werden scheint.595 Der Raub der Leiche Alexanders und die Werbung um Kleopatra können aber genausogut einen defensiven Charakter besessen haben, indem beide Mittel dann nicht mehr von seinen Kontrahenten im Sinne eines Anspruches auf die Herrschaft über das Gesamtreich gegen ihn selber eingesetzt werden konnten, wie auch die programmatische Anknüpfung an Alexander den Großen sich grundsätzlich auf den Bereich seiner eigenen Machtsphäre begrenzen konnte.596
Ein strategischer Sinn der fraglichen Unternehmungen im östlichen Mittelmeerbereich bestand v.a. darin, in Bereichen von aktuellen Machtvakua Brückenköpfe für künftige Eroberungen zu bilden,597 aber v.a. auch die Ausnutzung dieser Vakua durch einen Kontrahenten zu verhindern, der durch die Annexion dieses Gebietes hätte mächtiger werden und damit wiederum eine Gefahr für die Machtsphäre des Lagiden darstellen können. Insbesondere bedeutete der eigene Besitz von Insel- und Küstenstädten, daß ein Gegner dort keine Flotte gegen einen selber errichten konnte. So beeinträchtigte die von Ptolemaios verfolgte Politik der Kontrolle der Ägäis z.B. stark die Politik des Demetrios Poliorketes, der am Ende jeglichen Stützpunktes beraubt wurde, während Lysimachos eine ptolemaiische Gegenmacht entgegengestellt wurde.598 Es kann auch nicht vollkommen ausgeschlossen werden, daß das spätere Eingreifen des Ptolemaios III. Euergetes im durch innere Streitigkeiten erschütterten Seleukidenreich mitsamt einem nach eigenen Angaben bis Mesopotamien erfolgten Einmarsch599 die letzte Konsequenz der Ausnutzung von Machtvakua dargestellt haben könnte. Allerdings bedeutete diese Politik auch eine gewisse Aufreibung eigener Militärressourcen, da diese über etliche Stellen verteilt waren und in kleinen Gruppen nacheinander neutralisiert werden konnten. Eine Kontrolle der Küsten und Inseln der Ägäis brachte jedoch auch wirtschaftliche Vorteile mit sich, da mit einer solchen auch eine Kontrolle der Handelsrouten des östlichen Mittelmeerraumes und des Seeweges zum Schwarzen Meer verbunden war.600 Zugleich handelte es sich bei dem Lagiden aber auch um den ersten Machthaber auf dem ägyptischen Thron, der mit einer eigenen Flotte belegtermaßen bis in die Ägäis vorstieß.601
Ptolemaios I. wurde von der Nachwelt oft Unentschlossenheit vorgeworfen.602 Jedoch hängt jede Außenpolitik auch immer von den jeweils gegebenen v.a. äußeren Umständen ab, die sich unvermittelt ändern können, so daß sie in ihren Mitteln und Zielen immer wieder revidiert werden muß.603 Die allgemeine Stoßrichtung seiner Expansionsvorhaben blieb im wesentlichen immer die Welt des östlichen Mittelmeerraums, wie dies auch schon unter den ägyptischen Herrschern der Spätzeit der Fall gewesen war, jedoch in einem Ausmaße, wie es vorher bei weitem nicht üblich gewesen war, während das Interesse an den Gebieten südlich des Ersten Kataraktes äußerst gering war.604 Insgesamt zeigte seine Außenpolitik den entscheidenden Erfolg darin, daß Ägypten unter der Herrschaft des Lagiden von einer zumindest formal tributpflichtigen Satrapie eines anderen Reiches zu einem unabhängigen Reich aufstieg, das selber zu der führenden Macht der damaligen Oikumene wurde.605
Die Zeit nach dem Tode Alexanders des Großen wurde gerne als eine Epoche des Verfalls angesehen, in der die Errungenschaften des großen Feldherrn und Königs wieder verfielen.606 Allerdings handelt es sich einerseits bei solchen Beurteilungen immer um ein Problem der Sichtweise, indem eine Konzentration auf gewisse Aspekte erfolgt und eine bestimmte Vorstellung von Höhepunkten vorausgesetzt wird. Andererseits war das Alexanderreich kein einheitliches Reichsgebilde mit einem administrativem Zentrum im Sinne einer festen Lokalität, sondern eine aufgrund der Geschwindigkeit des Vorganges labile Zusammeneroberung von einzelnen Provinzen und Reichen gewesen, die allein durch die Person des Königs zusammengehalten worden war, der es bis zu seinem Tod nicht geschafft hatte, dieses Reich mit vereinigenden und stabilisierenden Vorrichtungen zu versehen. So hatten sich schon vor dem Tode des Feldherrn v.a. in den Teilen, in denen er sich gerade nicht befand, Separationstendenzen der einzelnen Gebiete und ihrer Statthalter gezeigt, wie auch Alexander sich praktisch nicht in der Lage gesehen hatte, Indien zu kontrollieren.607 Die Diadochen hingegen verfügten aufgrund ihrer ursprünglichen Funktion als Statthalter einzelner Provinzen in der Regel über feste administrative Zentren, die zugleich auch ihre militärische Hauptbasis bildeten, von denen sie bei ihrer jeweiligen Expansion ausgingen und auf die sich ihr gesamter Herrschaftsbereich ausrichten konnte. Die Zeit nach dem Tode Alexanders stellt somit neben einer Epoche des Auseinanderbrechens des niemals besonders gefestigten Alexanderreiches, auch eine der Etablierung von neuen Staaten mit wesentlich stabileren Strukturen dar. Ihre Leistungsfähigkeit zeigte sich u.a. auch dadurch, daß die neuen Herrscher in der Lage waren, die Unmengen an Soldaten, die sie für ihre Auseinandersetzungen untereinander brauchten, zu finanzieren, wobei sie die Mittel dafür zu einem großen Teil aus den Einnahmen ihrer Besitzungen bereitstellen mußten.608 Verbunden mit der Entstehung der neuen Staaten und dem Verfall des allgemeinen politischen Lebens in den Königreichen ist auch eine kulturelle und wissenschaftliche Blüte in den einzelnen Diadochenreichen. Schließlich zeichnete sich dieses Zeitalter dadurch aus, daß die Diadochen insgesamt nur marginal äußeren Faktoren ausgesetzt waren, so daß sie untereinander und in ihren jeweiligen Herrschaftsbereichen eine Eigendynamik entwickeln konnten, die kaum von außen beeinflußt wurde.609 Eine besondere Rolle spielten jedoch die Kräfte der einheimischen Kulturen nichtgriechischen Charakters, die sich im Bereich der neuen Staaten befanden.
Anmerkungen:
567 Bengtson (1975), p. 19; s.a. Huß (2001), p. 212.
568 Volkmann (1959)e, pp. 1607-1608 & 1631; s.a. Hölbl (1994), p. 30; Huß (2001), p. 212; Gehrke (2003), p. 163.
569 Hölbl (1994), p. 30; s.a. Volkmann (1959)e, p. 1631.
570 Bengtson (1975), p. 34; s.a. Geier (1838), p. 21; Volkmann (1959)e, p. 1607; Hölbl (1994), p. 31.
571 SB 5111 = Cowley (1923), No. 60 (aus Elephantine): [Βα]σιλεῖ Πτολεμαίωι χαίρειν. Περταῖος Ἀρνού[φιος ] | [..]φ..[..] κατέβησαν Αἰθίοπες κα[ὶ ἐ]πολιόρκ[ησαν ] | ......] φρακτεύω ἐγὼ καὶ δύο ἀδελφοὶ στ[αθμὸν( ) ] | ........]σ[.]ν ἐπὶ βοήθειαν καὶ ἀνείλομεν [ ].
572 Hölbl (1994), p. 55; s.a. Locher (1999), pp. 25 & 133.
573 s. in B) III.) a) 1.) Die Eingliederung der Kyrenaia; s.a. Huß (2001), p. 104.
574 Bengtson (1975), p. 20.
575 Pol. 5,34,6-9: τοιγαροῦν ἐπέκειντο μὲν τοῖς τῆς Συρίας βασιλεῦσι καὶ κατὰ γῆν καὶ κατὰ θάλατταν, Κοίλης Συρίας καὶ Κύπρου κυριεύοντες· | παρέκειντο δὲ τοῖς κατὰ τὴν Ἀσίαν δυνάστειας, ὁμοίως δὲ καὶ ταῖς νήσοις, δεσπόζοντες τῶν ἐπιφανεστάτων πόλεων καὶ τόπων καὶ λιμένων κατὰ πᾶσαν τὴν παραλίαν ἀπὸ Παμφυλίας ἕως Ἑλλησπόντου καὶ τῶν κατὰ Λυσιμάχειαν τόπων· | ἐφήδρευον δὲ τοῖς ἐν τῇ Θρᾴκῃ καὶ τοῖς ἐν Μακεδονίᾳ πράγμασι, τῶν κατ’ Αἶνον καὶ Μαρώνειαν καὶ πορρώτερον ἔτι πόλεων κυριεύοντες. | καὶ τῷ τοιούτῳ τρόπῳ μακρὰν ἐκτετακότες τὰς χεῖρας καὶ προβεβλημένοι πρὸ αὑτῶν ἐκ πολλοῦ τὰς δυναστείας, οὐδέποτε περὶ τῆς κατ’ Αἴγυπτον ἠγωνίων ἀρχῆς. διὸ καὶ τὴν σπουδὴν εἰκότως μεγάλην ἐποιοῦντο περὶ τῶν ἔξω πραγμάτων.; s.a. Seibert (1969), p. 84. Allerdings ist aus formaler Sicht nicht klar, ob sich diese Bemerkung auch auf Ptolemaios I. bezieht, da sich die Formulierung rein grammatikalisch auch lediglich auf die beiden vorangegangenen Ptolemaier, also Ptolemaios II. Philadelphos und III. Euergetes beziehen könnte (Seibert (1969), p. 85), wobei aus inhaltlicher Sicht Ptolemaios I. höchstwahrscheinlich mit einbezogen worden sein dürfte.
576 Mahaffy (1887), pp. 92-93; s.a. Mahaffy (1887), p. 162.
577 s.a. Bengtson (1975), p. 20.
578 Bengtson (1975), p. 20.
579 Mahaffy (1898), p. 38.
580 Volkmann (1959)e, p. 1607.
581 Hölbl (1994), p. 30.
582 Ellis (1994)c, p. 25.
583 Bengtson (1975), pp. 33-34.
584 s. Σβόρωνος (1904), Bd. I, pp. ρδ'-ρε' = Bd. IV, pp. 46-47. Allerdings muß hierzu bemerkt werden, daß durch die wesentlich schlechtere Quellenlage für den Zeitraum nach der Schlacht von Ipsos im Gegensatz für den zuvor in bezug auf die Unternehmungen des Ptolemaios I. eine gewisse perspektivische Verzerrung vorliegen könnte.
585 Ellis (1994)c, p. 37.
586 Ellis (1994)c, p. 59.
587 Seibert (1967), p. 72.
588 Bengtson (1975), p. 20; s.a. Volkmann (1959)e, 1608.
589 Ellis (1994)c, p. 33; s.a. Geier (1838), p. 30.
590 s.a. Bosworth (2002), pp. 2-3: „To embark on an unlimited programme of conquest was to risk invasion and the loss of one’s home base (as Demetrius was to discover in 288). The practical imperative was to create the resources to protect one’s territory against invasion and expand one’s power base without overreaching oneself. For all the glamour and charisma of Alexander his conquest could not be repeated.“ & Green (1990), p. 119: „It was not by mere serendipity that the Ptolemaic dynasty outlasted all its rivals, or that, almost alone of the Successors, Ptolemy died peacefully in his own bed, of old age (283), having set up a smooth transition of power to Ptolemy II, later known as Philadelphos, his son by Berenice.“ Auch wenn Bose bei ihren Beschreibungen des Unterrichts des Aristoteles am makedonischen Hofe wohl jegliche Bodenhaftung zu verlieren scheint, indem sie trotz der Dürftigkeit der Quellen dazu aus dem Unterrichtsverhältnis nahezu eine philosophische Fakultät einer Eliteuniversität werden läßt (Bose (2003), pp. 31-41), so besteht dennoch die Möglichkeit, daß bei dem Unterricht Aristoteles hier ein paar seiner grundsätzlichen Einstellungen weitergegeben hatte, da praktisch jedes Unterrichtsverhältnis mit einer Weitergabe von Weltanschauungen verbunden ist. Hierzu gehörte im Bereich der Ethik des Lehrmeisters, niemals einen extremen Weg zu gehen, sondern immer nach einem gut gangbaren Mittelweg zu suchen, eine Maxime, die einfach verstanden und ohne große philosophische Spekulation auch „nebenbei“ vermittelt werden kann.
591 Ellis (1994)c, p. 2: „Ptolemy, son of Lagus, seems to have been the first of Alexander’s successors to understand that the empire would not last as an entity and could not be governed by one man. He alone of the major figures in the first years after Alexander’s death seems to have intuitively grasped the idea that this vast creation of the charismatic general would splinter into smaller kingdoms. He chose Egypt as his personal satrapy and never gave way to the temptation to risk his hold on Egypt for a larger share of the empire. It is true that he conquered regions both to the east and west – but only in the interests of a greater Egypt, not in the attempt to gain all of Alexander’s empire.“; s.a. Geier (1838), p. 30.
592 Will (1984)a, p. 61.
593 Green (1990), p. 140 & Huß (2001), p. 362.
594 s. Bengtson (1987), p. 150.
595 Ellis (1994)c, p. 46; s.a. Binder (2003), pp. 67-78.
596 Gehrke (2003), p. 163.
597 So besteht eine Interpretation für seine Unternehmungen im griechischen Mutterland darin, daß Ptolemaios hiermit versuchte, eine Machtbasis auf dem griechischen Festland in Kooperation mit den griechischen Poleis vor Ort zu bilden, was jedoch nicht zustande kam, da diese sogar offenen Widerstand leisteten, so daß diese Gegend nur mit immensen Mitteln haltbar gewesen wäre (Kolbe (1916), pp. 533-535).
598 Hölbl (1994), p. 30; s.a. Seibert (1969), p. 88.
599 FGrH 160 (Bulletin aus dem Dritten Syrischen Krieg) (s.a. Piejko (1990), pp. 13-15) & Iust. 27,1 & FGrH 260 (Porphyrios von Tyros) F43; s.a. OGIS 56,11-15 (Kanopos-Dekret griechisch) & App. Syr. 65,345-346 & Polyain. 8,50 & Pol. 5,58,10-11; s.a. Hölbl (1994), pp. 46-48; Green (1990), p. 150.
600 Green (1990), p. 146.
601 Turner (1984), p. 134.
602 Bengtson (1975), p. 20.
603 Seibert (1969), p. 88.
604 Bevan (1968), p. 23.
605 Hölbl (1994), p. 31: „Eine Würdigung des ersten Ptolemäers muß von dem ausgehen, was aus Ägypten und weiter dem Ptolemäerreich während seiner Regierungszeit geworden ist, und nicht von einigen mißglückten Einzelaktionen.“; s.a. Bevan (1968), p. 23: „Ptolemy, the son of Lagus, remained in his African province, safe as a tortoise in its shell, while armies marched to and fro across Asia and rival fleets battled in the Ægean. To some extent, indeed, he stretched forth out of his shell to mingle in the mellay, for the power ruling Egypt was now one of Hellenistic character, having various connexions, political, economic, cultural, with the other states of the Greek world.“
606 s. Bosworth (2002), p. 1; s.a. Bengtson (1987), p. 7.
607 Bosworth (2002), pp. 1-2.
608 Bosworth (2002), pp. 2-3.
609 Bengtson (1987), p. 7.