Ptolemaios I. Soter
Christian A. Caroli:
Ptolemaios I. Soter – Herrscher zweier Kulturen
Konstanz 2007 (badawi - artes afro arabica)
Umfang: XIV + 414 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-05-2
Preis (bis 10/2015): EUR 59,99 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015 bis 12/2022): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 01/2023): EUR 19,95 (inkl. 7% MwSt.)
E) Ptolemaios I. und das Griechentum
II.) Alexandreia als kulturelles Zentrum: Das Museion und das Programm des Ἑλληνισμός
c) Die Bedeutung und Förderung von Kultur und Wissenschaften unter Ptolemaios I.
1.) Allgemeiner Charakter der Wissenschaften
Das Museion und die Bibliothek waren der wesentliche Bestandteil einer intensiven Förderung von griechischer Kultur und Wissenschaften unter dem Patronat der Ptolemaier, angefangen bei Ptolemaios I. Dieser ließ auch seinen Sohn und Thronfolger Ptolemaios II. Philadelphos durch Straton von Lampsakos,252 Philetas von Kos bzw. Rhodos253 und u.U. Zenodotos von Ephesos erziehen. Damit schloß er wiederum an den makedonischen Hof unter Philipp II. an, der für seinen Sohn nach den besten erhältlichen Erziehern, aus heutiger Sicht v.a. Aristoteles, gesucht hatte.254 Da eine solch intensive Förderung von Kultur und Wissenschaft, v.a. aber die Begründung und Erhaltung von Museion und Bibliothek, mit einem hohen Bedarf an Geldmitteln verbunden war, mußte schon Ptolemaios I. über ein Staatswesen verfügt haben, das hohe Überschüsse erwirtschaftete. Zugleich konnten sich andere Reiche mit einer weniger guten Finanzlage etwas Vergleichbares niemals in dieser Dimension leisten.255
Während der Regierungszeit des Ptolemaios I. reisten viele Griechen nach Ägypten und gelangten z.T. bis nach Theben. Unter ihnen befand sich auch der Historiker, Philosoph und Grammatiker Hekataios von Abdera,256 ein Schüler des Skeptikers Pyrrhon von Elis, und verfaßte danach seine Historien über Ägypten (s. in C) I.) a) 3.) Ägypten als Ort der Weisheit und Utopie).257 Auch Theophrast dürfte sich in Ägypten aufgehalten haben und dort in Kontakt mit Ptolemaios I. gekommen sein, da er sich in seinen Werken durch eine profunde Kenntnis der dortigen Botanik auszeichnet, wie er auch bei der Vermittlung des Demetrios von Phaleron an Ptolemaios behilflich war (s. in E) II.) a) Der mutmaßliche geistige Vater des Museion: Demetrios von Phaleron).258 Gegen Ende der Regierungszeit des Ptolemaios I. bzw. während der Zeit des Regierungswechsels wurde auch eine erste Erkundungsexpedition in königlichem Auftrag durchgeführt. Philon besuchte Meroe und eine Insel, die insula Topazus, im Roten Meer und verfaßte einen Reisebericht hierüber (FGrH 670 (Philon); s.a. Diod. 1,37,5 & Plin. nat. 37,108). Der Hauptzweck dürfte hierbei primär in der Erschließung von Handelsrouten und damit wirtschaftlichen Interessen bestanden haben, wobei die Kenntnis bestimmter Gegenden und Routen auch für die Kriegspolitik von Interesse sein konnte.259 Dennoch könnte diese Neugier bis zu einem gewissen Maße durch den Alexanderzug angeregt worden sein, der bezogen auf seine zeitliche Länge wohl die weitumfassendste Erweiterung des Weltbildes in der griechischen Geschichte bewirkt hatte, wobei der Wissensdurst Alexanders des Großen wiederum durch seinen Lehrer Aristoteles angeregt worden sein könnte.260
Die Entwicklung des Museion wurde durch die politischen und sozialen Rahmenbedingungen der damaligen Zeit begünstigt, indem die sich im 4. Jh. allmählich entwickelnde und nun vorherrschende politische Realität in der griechischen Welt vielen hochbegabten Männern eine wissenschaftliche Karriere wesentlich attraktiver erscheinen ließ als eine äußerst ungewisse und in der Regel recht kurzlebige politische. Durch die immer stärker werdende Tendenz der Abwendung von der Politik fühlten sich Intellektuelle auch nicht mehr in der früheren Weise an ihr Gemeinwesen gebunden und waren somit eher bereit, nach Alexandreia überzusiedeln, während die Stadt als Neugründung noch nicht in der Lage war, eigene geistige Größen hervorzubringen.261 Zugleich erfuhren sie unter der Patronage der Ptolemaier im Gegensatz zu ihrer alten Heimat Unterstützung und besaßen weitgehende Freiheiten im geistigen Bereich, so daß sie gerade in diesem autoritären System in gewissem Sinne ihre Freiheit behielten bzw. wiedererlangten. Denn hier konnten sie sich vollkommen wieder ihren geistigen Studien widmen, da sie aufgrund königlicher Unterstützung keine Sorge mehr um ihr Auskommen tragen mußten und sie für ihre Forschung mit allen notwendigen Mitteln und Ressourcen ausgestattet wurden.262 So hatte auch schon in vorhellenistischer Zeit v.a. an den Tyrannenhöfen die Aussicht, sich nicht mehr um den täglichen Lebensunterhalt kümmern zu müssen, damals v.a. für die Dichter eine gewisse Verlockung besessen, auch wenn sie damit ihre Unabhängigkeit zumindest für die Dauer des Förderungsverhältnisses aufgaben, wobei beim Ptolemaierhof die angenehme Situation vorherrschte, daß sie nicht genötigt wurden, allzusehr zum Lobe des Herrschers zu dichten.263
Die Eroberungen außerhalb Ägyptens im griechischen Kulturgebiet eröffneten zusätzlich ein gewisses Reservoir an geistigem Nachwuchs, wie z.B. Kallimachos aus Kyrene und Philetas aus Kos kommen sollten. Überhaupt stammte unter Ptolemaios II. Philadelphos und Ptolemaios III. Euergetes die Mehrheit der bekannten kulturellen Größen in Alexandreia aus den griechischsprachigen Gebieten des ptolemaiischen Reiches bzw. der ptolemaiischen Einflußsphäre. Hierzu gehörten v.a. seit etwa 281/80 Samos, das in der archaischen Zeit die Heimat von Dichtern und Naturphilosophen rund um Polykrates gewesen war, und auch Kos, das sich durch seine medizinische Schule, aber auch durch intellektuelle Größen in anderen Bereichen auszeichnete, während mutmaßlich allein Apollonios Rhodios als einziger hellenistischer Dichter in Ägypten geboren wurde. Dementsprechend kann auch ein Verfall der kulturellen Blüte Alexandreias, der mit dem Zusammenschrumpfen des Reiches und dem damit verbundenen Verlust der wesentlichen griechischsprachigen Gebiete einherging, beobachtet werden.264 Zugleich brachte die Ansammlung von Intellektuellen und Künstlern aus den verschiedensten Gegenden der griechischen Welt eine gewisse Bandbreite und Variation von Traditionen der entsprechenden Herkunftsgegenden und angrenzender Gebiete mit sich, die den Gelehrten vor Ort zur Verfügung stand, was in einer Polis traditionellen Zuschnitts kaum vorstellbar gewesen wäre.265 Schließlich profitierte die Forschung in Alexandreia von der erhöhten Mobilität der Menschen des hellenistischen Zeitalters gegenüber dem des klassischen Griechenlands266 und der immer zunehmenden Einfachheit der Fernkommunikation, die eine gegenseitige Befruchtung der Intellektuellen untereinander zuließ, wie z.B. Archimedes später von Syrakus aus im Dauerkontakt mit seinen Kollegen in Alexandreia stehen sollte.267
Anmerkungen:
252 Diog. Laert. 5,58 & Suda s.v. Στράτων, Λαμψακηνός.
253 Suda s.v. Φιλήτας, Κῷος; s. PP 16724 = PP 16889.
254 Green (1990), p. 86; s.a. Jones / Heath (1928), p. 297; Hölbl (1994), p. 64; Huß (2001), pp. 236-237.
255 Bengtson (1987), p. 95; s.a. Weber (1993), p. 80.
256 Diod. 1,46,8 & FGrH 264 (Hekataios von Abdera) T7 = Ios. c. Ap. 1,183; s. PP 16915.
257 Fraser (1972), Bd. I, p. 496; s.a. Bouché-Leclercq (1903-1907), Bd. I, p. 136; Hölbl (1994), p. 28.
258 Hölbl (1994), p. 28; s.a. Capelle (1956), pp. 173-186 passim; Huß (2001), p. 231.
259 Fraser (1972), Bd. I, pp. 176 & 522 & 762; s.a. Rostovtzeff (1953), Bd. II, p. 1039; Green (1990), p. 329.
260 Wendel / Göber (1955), p. 62; s.a. Bengtson (1987), p. 91; Grant (1990), p. 150; Clauss (2003), p. 92.
261 Green (1990), pp. 85 & 453-454; s.a. Mahaffy (1887), p. 131.
262 Fraser (1972), Bd. I, pp. 306 & 793; s.a. Green (1990), p. 85.
263 Weber (1993), pp. 52 & 109-110.
264 Fraser (1972), Bd. I, pp. 307-308; s.a. Barber (1928), p. 276; Green (1990), p. 86; Weber (1993), p. 98.
265 s. Fraser (1972), Bd. I, p. 793.
266 s. Apoll. Rhod. 2,541-546: ὡς δ’ ὅτε τις πάτρηθεν ἀλώμενος, οἷά τε πολλὰ | πλαζόμεθ’ ἄνθρωποι τετληότες, οὐδέ τις αἶα | τηλουρός, πᾶσαι δὲ κατόψιοί εἰσι κέλευθοι, | σφωιτέρους δ’ ἐνόησε δόμους, ἄμυδις δὲ κέλευθος | ὑγρή τε τραφερή τ’ ἰνδάλλεται, ἄλλοτε δ’ ἄλλῃ | ὀξέα πορφύρων ἐπιμαίεται ὀφθαλμοῖσιν·
267 Fraser (1972), Bd. I, p. 555; s.a. Weber (1993), p. 99.