Ptolemaios I. Soter
Christian A. Caroli:
Ptolemaios I. Soter – Herrscher zweier Kulturen
Konstanz 2007 (badawi - artes afro arabica)
Umfang: XIV + 414 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-05-2
Preis (bis 10/2015): EUR 59,99 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015 bis 12/2022): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 01/2023): EUR 19,95 (inkl. 7% MwSt.)
C) Griechen, Makedonen, Ägypter und das ptolemaiische Königtum
II.) Ptolemaios I. als Pharao
b) Ptolemaios I. und seine pharaonischen Pflichten
3.) Seine Aktivitäten im religiösen und religionspolitischen Bereich
α) Der Umgang mit den Priesterschaften
Das gesamte ptolemaiische Wirtschaftssystem bedurfte notwendigerweise der einheimischen Bevölkerung, auf deren Schultern die Produktion des Hauptexportartikels, nämlich des Getreides, stattfand (s. in D) IV.) b) 2.) Die Verteilung von Land an makedonische Offiziere und Soldaten und ihre Bedeutung im Rahmen der ptolemaiischen Innen- und Sicherheitspolitik). Zugleich war Ägypten die Machtbasis des gesamten ptolemaiischen Reiches, auf die sich die Herrschaft v.a. wirtschaftlich stützen mußte. Schließlich bildeten die Einheimischen die erdrückende Mehrheit der Bevölkerung, indem Relationen von einem Makedonen bzw. Griechen auf 100. bis 1.000 Ägypter geschätzt werden.168 Daher stellte sich innenpolitisch als die überlebenswichtigste aller Aufgaben die, „zwischen der makedonisch-griechischen Führungsschicht und den Einheimischen einen modus vivendi zu finden“, vor allem da Ptolemaios I. mehrfach in Kriege verwickelt wurde, in denen es um das nackte Überleben seines Staates ging.169 Er benutzte aber auch bei der Schlacht zu Gaza ägyptische Kontingente, so daß er der Einheimischen auch im militärischen Bereich zumindest als Reserve oder als Hilfe beim Troß bedurfte.170 Diese Abhängigkeit vom Wohlwollen des einheimischen Volkes sollte sich aber besonders unter Ptolemaios III. Euergetes noch in besonderer Weise zeigen, als der erste ägyptische Volksaufstand unter den Ptolemaiern zumindest einen der Hauptgründe für den relativ abrupten Abbruch eines der größten Feldzüge der ptolemaiischen Geschichte darstellte.171
Verbunden mit der Notwendigkeit eines guten Verhältnisses zur einheimischen Bevölkerung war auch die eines guten Einvernehmens mit der traditionellen ägyptischen Priesterschaft. Denn sie stellte im Lande und in der Bevölkerung einen wichtigen Machtfaktor dar. Dieser wurde noch dadurch verstärkt, daß es nach der unter der Saitenherrschaft stattfindenden Entmachtung der lokalen Dynastien vor Ort, die sich aus Funktionären mit großem Grundbesitz gebildet hatten, in Ägypten keine weitere organisierte Oberschicht mehr gab, die anderweitige Interessen hätte entgegensetzen können.172 Der Einfluß der Priesterschaften auf die Bevölkerung wurde v.a. dadurch intensiviert, daß die gemeinen Priester jedes einzelnen Tempels in klassischerweise vier Phylen organisiert waren, von denen jede reihum einen Monat lang den Tempeldienst versah, während die Mitglieder der drei anderen ihren privaten Verpflichtungen wie Familie und Privatgeschäften nachgehen konnten und dabei unter ihren Landsleuten lebten.173 Auch hatten die verschiedenen Tempel über das gesamte Land verteilt teilweise erhebliche Besitztümer inne, so daß sie nicht nur im geistigen Bereich, sondern auch im wirtschaftlichen einen nicht zu vernachlässigenden Machtfaktor darstellten. So besaßen z.B. gemäß dem Harris-Papyrus aus der Zeit des Ramses III. im 12. Jh. die Heiligtümer zusammen etwa 1/7 des gesamten Landes, wobei die von Theben davon mit 81% über den größten Anteil verfügten, gefolgt von Heliopolis mit 15% und Memphis mit 1%. Zwar müssen natürlich Änderungen im Verlaufe der Zeit bis hin zur Eroberung durch Alexander den Großen angenommen werden, aber die konservative Einstellung in Ägypten dürfte einen allzu großen Umschwung der Verhältnisse an sich eher unwahrscheinlich gemacht haben.174 So legen auch die in der Satrapenstele erwähnten Schenkungen und die Beschreibungen des Petosiris (s. in C) III.) b) 1.) Die Klagen und Taten des Petosiris) nahe, daß auch in der frühesten Ptolemaierzeit die Tempel einerseits über nicht geringe Landflächen verfügten und solche sogar in großzügigem Stil wiedererstattet oder gar geschenkt bekamen (da „Wiedererstattungen“ in Wahrheit auch Erstschenkungen darstellen können) und andererseits einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor im Bereich der Landwirtschaft und der handwerklichen Verarbeitung darstellten. Des weiteren legen die überlieferten Belege für die Entrichtung von mit Bestattungen verbundenen Gebühren auch nahe, daß die Heiligtümer die finanzielle Kontrolle auch in diesem in Ägypten lukrativen Bereich beibehielten.175 Die Priesterschaften und Tempel waren aber auch auf ihre Einnahmen angewiesen, da allein schon der Kult über das Jahr hinweg in seiner Komplexität ungeheure Ausgaben erforderte und etliche Aufwendungen hinzukamen wie z.B. Gelder für die Errichtung und Bestandserhaltung der baulichen Anlagen, wozu auch die profanen Nutzbauten gehörten.176
Außerdem stellten die Priesterschaften wesentliche Repräsentanten eines ideologisch fundierten Systems dar, das die Ausbeutung der Bevölkerung auf eine eben in dieser anerkannten Weise legitimierte. Zugleich bildeten die Heiligtümer und Priesterschaften mittels ihrer immensen Tempeldomänen einen wesentlichen Bestandteil der Landesverwaltung. Denn sie bauten im Bereich ihrer Domänen die wesentlichen Verwaltungsstrukturen auf und gewährleisteten somit auch die Einnahmen aus diesen Bereichen, während die Zentralregierung sonst gezwungen gewesen wäre, diese bis zur untersten Stufe selber aufzubauen.177 Die meisten höheren Priesterämter wurden zudem in dieser Epoche traditionell über etliche Generationen hinweg jeweils innerhalb einer einzigen Familie vererbt.178 Daher konnten sich über das Land verteilt ganze Priesterdynastien etablieren, während der König recht wenig Einfluß auf die Zusammensetzung der Priesterschaften besaß. So konnte im späten Neuen Reich und in der Dritten Zwischenzeit in Theben ausgehend von der dortigen Amun-Priesterschaft sich ein Gottesstaat herausbilden, der zeitweise gegenüber dem im Norden regierenden König die faktische Souveränität beanspruchen konnte.179 Überhaupt handelt es sich um eines der Charakteristika der letzten Phase der pharaonischen Geschichte, daß sich des öfteren mehrere Dynastien gegenseitig bekämpften, so daß die bedeutenderen Tempel kaum noch einer zentralen Kontrolle durch den König unterlagen, die eine effektive Herrschaft über sie gesichert hätte.180 Auch besteht die Möglichkeit, daß unter Ptolemaios IV. Philopator der ägyptische Gegenkönig (s. Pol. 14,12,4) seine Machtbasis z.T. auf der Unterstützung der Amun-Priesterschaft Thebens aufbaute, die insgesamt gegen die ptolemaiische Regierung eingestellt war.181 So basierten die ägyptischen Aufstände in der nachfolgenden Ptolemaierzeit von ihrem ideologischem Aspekt her nicht auf einem ägyptischen Nationalismus im profanen Sinne, sondern auf der ägyptischen Religion.182
Die Perserkönige hatten während ihrer Herrschaft diesen Machtfaktor nicht richtig beachtet, allen voran Kambyses, der den meisten Priesterschaften nicht nur keine Stiftungen gemacht, sondern ihnen sogar die regulären Einkünfte beschnitten hatte (s. P. Bibl. Nat. 215 v. d,1-17). Dafür waren sie mit Kambyses an der Spitze von den Priestern offiziell zu frevlerischen Verbrechern erklärt und einer Rufmordkampagne unterzogen worden, während die Oberherrschaft der Perser destabilisiert worden war.183 So betont auch Ptolemaios I. in seiner Satrapenstele ausdrücklich, daß er bei der Rückkehr von einem seiner Syrienfeldzüge nach seiner Landung bei Buto den dortigen Göttern, also de facto den dortigen Priesterschaften, ihre traditionellen Einkünfte aus einem Landstrich bestätigte, der bzw. dessen Einkünfte ihnen von einem gewissen „Arses“ entrissen und von König Chababasch wieder als Besitz zuerkannt worden war. Dieser Arses hatte dabei nicht nur den Priestern das Land weggenommen, sondern auch weder aus den Einkünften des Landes den Göttern etwas abgegeben noch eine Kompensation für den Einnahmeausfall geleistet. In diesem Sinne wurde er bei der Niederschrift des Textes der Stele ausdrücklich als Feind bzw. Rebell bezeichnet und sein Name mit dem Determinativ des geköpften Feindes versehen.184 Natürlich wurde Arses und seinem Hauptsohn ihr Verderben in ihrem Palast angewünscht, was dann auch durch die Kunde der Ermordung beider bestätigt worden sei, so daß der amtierende König Chababasch damals die Macht der Götter erkannt und das Land ihnen zugeteilt habe, um so für ihren Unterhalt zu sorgen. Ptolemaios habe dagegen bei der Bestätigung der Landverleihung ausdrücklich die Grenzen definiert und einige Ertragsarten dieses Landes bestimmten religiösen Zwecken in genauer Weise zugeteilt. Schließlich habe er jeden, der diese Regelungen brechen solle, zum Ausgestoßenen und zu Exekutierenden erklärt.185 Hierbei bleibt jedoch die Möglichkeit bestehen, daß es sich in diesem Fall nicht um reine Religionspolitik handelte, sondern daß Ptolemaios, gemäß dem Kontext der Satrapenstele, in Verbindung mit der zuvor geschilderten erfolgreichen Rückkehr vom Syrienfeldzug den betroffenen Göttern gegenüber Dankbarkeit ausdrückte.186 Recht bald nach dem Betreten seiner neuen Satrapie stiftete Ptolemaios 50 Talente für die Beerdigung des gerade verstorbenen Apis-Stieres von Memphis (Apis der Kuh Ta-nt-Aset) bzw. vergab sie zumindest als Darlehen (Diod. 1,84,8), was den mutmaßlichen Beginn der ptolemaiischen Tradition von Stiftungen und Zuschüssen zum Zwecke der Ausübung des ägyptischen Kultes darstellte,187 aber zugleich wie bei Alexander dem Großen als ein Gegenbild zu den Perserkönigen gesehen werden konnte, denen ja teilweise die Tötung des Stieres nachgesagt wurde (s. in C) II.) a) Alexander der Große und seine Legitimation als Pharao). Aufgrund seiner allgemeinen Lage kann aber bei diesen Opfern und Stiftungen insgesamt davon ausgegangen werden, daß Ptolemaios wohl eher machtpolitischen Erwägungen folgte als einer bewußten Politik der Ägyptisierung, weswegen die Handlungen in diesem Bereich der Ägyptisierungstheorie keinen Halt geben.188
In zeitlicher Nähe zu der offiziellen Annahme des Pharaonentitels scheint Ptolemaios I. auch einen Erlaß herausgegeben zu haben, der die Besitzungen von Heiligen Bezirken und Tempeln vor Veräußerung schützen sollte, indem sowohl der Verkauf als auch der Kauf von τεμένη und ἱερά unter Strafe verboten wurde.189 Zugleich wurden die betroffenen Güter auch vor dem staatlichen Zugriff in der Weise geschützt, daß weder die Steuerpächter Abgaben von diesen nehmen noch die ἀγορανόμοι sie in ihre unter anderem der Steuererhebung dienenden Register eintragen noch Einquartierungen auf diesen vorgenommen werden durften. Eine gewisse Schwierigkeit besteht bei diesem Dokument in bezug auf die Datierung, da zwar ein Regierungsjahr mitsamt Monat angeführt wird (Daisios, 20. Jahr), aber nicht, um wessen 20. Jahr es sich handelt. In der erhaltenen Form des Textes ergeben sich aber auch einige interpretatorische Probleme aufgrund des Textes selber. So bereitet die Zeile 9 des Textes gewisse Schwierigkeit. Hagedorn190 will sie dadurch abmildern, indem er aufgrund „paläographischer Beobachtung“ hinter ἱερά „die obere Horizontale eines beschädigten Sigmas“ (p. 66) sieht. Das dadurch entstandene ἱεράς könne dann in Parallele zu anderweitig überlieferten Strafklauseln der Ptolemaierzeit in Verbindung gesetzt werden, die gerne ἱερὰς βασιλεῦσι ἀργυρίου ἐπισήμου δραχμὰς τοσαύτας o.ä. (s. UPZ 195,15 & 196,36-37) lauten und sich gelegentlich auf den aktuellen Herrscher beziehen (καὶ ἱερὰς τῷ βασιλεῖ καὶ βασιλείσης ἀργυρίου δραχμὰς ἴκοσι). Dementsprechend müsse an dieser Stelle ein Personennamen ergänzt werden, so daß die Zeile 9 καὶ προσαποτεισάτω ἱερας Ἀλεξαν[δρωι (δραχμὰς) x], also daß der Betreffende x Alexander geweihte Drachmen zu entrichten habe, lauten müsse. Nun kommen aber weder Alexander der Große noch Alexander IV. überhaupt in die Nähe eines 20. Regierungsjahres. Ptolemaios X. Alexandros I. komme dagegen nicht in Frage, da sein 20. Regierungsjahr (95/94) eindeutig weit hinter die potentielle Abfassungszeit fällt, die in das 2. Jh. zu setzen sei. Somit sei die Summe dem staatlichen Alexanderkult zugeflossen, weswegen das Dekret a priori in das 20. Jahr eines Königs datiert werden könne, der dieses erreicht und vor der Abfassung des Papyrus regiert habe. Damit kämen Ptolemaios I., Ptolemaios II. Philadelphos, Ptolemaios III. Euergetes, Ptolemaios V. Epiphanes und Ptolemaios VI. Philometor als mögliche Urheber in Frage. Trotzdem bliebe dann die Frage offen, warum beim Dynastiekult nur Alexander der Große, aber nicht die ebenfalls in diesen Königskult aufgenommenen Königspaare genannt worden seien. Diese könne nur dadurch gelöst werden, indem dieses Dekret in die Regierungszeit des Ptolemaios I. datiert werde, als der offizielle Alexanderkult noch nicht durch den Kult der ptolemaiischen Herrscher erweitert worden war (s. in G) III.) Die Vergöttlichung des Ptolemaios I. Soter). Deswegen habe damals in der Strafklausel auch kaum von ἱεραὶ βασιλεῦσι bzw. βασιλεῖ die Rede sein können. Da es sich hierbei um ein griechisches Dokument mit griechischer Datierung handle, müßten zur Datierung auch die Jahre mitgezählt werden, in denen Ptolemaios formal als Satrap Ägypten beherrschte,191 so daß die Urkunde in das Jahr 304/03 und damit recht bald nach dem Beginn seiner Herrschaft als Pharao zu datieren sei. Auf dieselbe Datierung kommt auch Rigsby,192 wobei er aber in den Ausführungen Hagedorn teilweise widerspricht. Nach ihm sei die von Hagedorn vorgeschlagene Formulierung unüblich, weswegen er προσαποτεισάτω ἱερὰς Ἀλεξαν[δρείας (δραχμὰς) x] postuliert. Damit seien dann Drachmen mit dem Bildnis Alexanders des Großen gemeint. Dazu gebe es genügend Parallelen. Außerdem werde nicht immer ein Dativ des Empfängers angegeben (M. Chr. 283,11-12 = P. Eleph. 1,12: καὶ προσαποτεισάτω ἀργυρί|ου Ἀλεξανδρείου...), zumal da die Formulierung der „geweihten Drachmen“ schon an sich klar mache, daß die Staatskasse von der Buße profitieren solle. Die Anführung der Alexander-Drachmen spreche aber wiederum für Ptolemaios I., da unter ihm der von Alexander verwendete attische Standard aufgegeben wurde und die Münzen seiner Nachfolger in der Regel mit den Bildnissen von Ptolemaierkönigen versehen worden seien.
Ptolemaios I. unterhielt auch gute Kontakte zu etlichen Familien, deren Häupter bedeutende Positionen innerhalb der ägyptischen Priesterschaft einnahmen. Darunter zählte anscheinend auch die Familie des Hohenpriesters des Ptah von Memphis, damals Esisut I. (s. PP 5365), der aufgrund der Rolle des Ptah-Heiligtums und seiner Priesterschaft in der Königsideologie von besonderer Bedeutung war. Hinzu kamen Familien des Hohenpriesters des Haroëris von Letopolis, des Horus-Re von Sachebu, die Familie des Petosiris, des Hohenpriesters des Thot von Hermopolis, und die des Somtutefnakht, des Priesters der Sachmet von Herakleopolis. Nicht zu vergessen sind schließlich auch die Verbindungen zu Manethon, dem Priester zu Sebennytos, der die Funktion eines Beraters in ägyptischen Angelegenheiten übernahm.193 Ein Teil der von Ptolemaios betriebenen Politik des guten Einvernehmens mit den Priesterschaften bestand natürlich auch darin, daß er seinen kultischen Pflichten als Pharao nachkam und sich nicht von den ägyptischen Göttern abwandte.194 Aber auch die Priester waren aufgrund des Konzepts der Maat auf den König angewiesen, indem sich alle Kompetenzen der Kultausübung und damit alle Kompetenzen der Priester vom Pharao und seiner Kompetenz als Mittler zwischen Göttern und Menschen in beiden Richtungen ableiteten und die Priester lediglich Stellvertreter des Pharao vor den Göttern darstellten. Allerdings schloß diese gezwungene Zusammenarbeit nicht notwendigerweise die latente Unterstützung von antimakedonischer Propaganda aus.195
Im Bereich der ägyptischen Religion bestand auch nicht die Möglichkeit, die Kompetenzen bzw. den realen Einfluß zwischen einheimischen und makedonisch-griechischen Kräften aufzuteilen, wie dies z.B. in der Verwaltung geschah. Faktisch bestand zunächst einmal allein die Alternative zwischen einer Auflösung des alten religiösen Apparates und dessen weitgehender Einbindung in die neue Herrschaftsstruktur.196 Natürlich gab es bei der Einbindung der Priesterschaften noch die Möglichkeit der Ausnutzung der inneren Zwistigkeiten dieser Schicht. Denn die verschiedenen großen Heiligtümer, die verschiedenen Landstriche und die beiden Landeshälften, v.a. aber die mächtigen Priesterschaften des Ptah in Memphis und des Amun in Theben, standen immer in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zueinander. Daher konnten die Priesterschaften bis zu einem gewissen Grade gegeneinander ausgespielt werden. Allerdings brachte dies zugleich die Gefahr mit sich, daß man sich zu stark auf die Seite einer Priesterschaft stellte und sich den Unmut einer anderen damit heraufbeschwor.197 Die Ptolemaier befolgten im Umgang mit den Priesterschaften die persische Politik einer möglichst starken Kontrolle der herrschenden Macht über die ägyptischen Priesterschaften.198 Allerdings stammen hierfür die meisten Belege frühestens aus der 2. Hälfte des 2. Jh., als das ägyptische Element nach mehreren Aufständen eine ganz andere Rolle spielte als unter den frühen Ptolemaiern. Insgesamt aber dürfte zu Beginn der Ptolemaierherrschaft noch im wesentlichen die Situation wie unter der Perserherrschaft vorgeherrscht haben. Demgemäß dürften aufgrund der Folgen der Perserherrschaft der Besitzstand z.B. gegenüber dem aus der Saitenzeit weit zurückgestanden und gewisse persische Restriktionen noch bestanden haben, da z.B. die Phasen der Regierung des Chababasch und die Anwesenheit Alexanders des Großen, was die Restitution früherer Zustände betrifft, jeweils relativ kurz waren, während Kleomenes unter gegenteiligem Ruf stand.199 Unter Ptolemaios I. kann v.a. aufgrund des Schutzdekrets (s. oben c. n. 187) belegt werden, daß das eigentliche Tempelareal mitsamt den direkten Ländereien des Gottes von Abgaben befreit war und auch nicht staatlich verwaltet wurde. Zugleich dürften auch die höherrangigen Priester miteinbegriffen gewesen sein. Damit genossen die Heiligtümer und ihre Priesterschaften weitestgehende Selbständigkeit und konnten ihre innere Organisation und ihre internen Angelegenheiten in weitestgehender Freiheit regeln.200 So existiert unter Ptolemaios II. Philadelphos ein Beleg für die Befreiung der auf den Tempelgütern beschäftigten ἱερόδουλοι von Liturgien (PSI 440 = P. Cair. Zen. 59451), wobei es sich bei der Urkunde um eine Beschwerde über die Nichteinhaltung der Befreiung handelt.201 Der Unterhalt der Opfertätigkeit wurde klassischerweise durch einen formal zwischen Pharao und Gottheit geschlossenen Stiftungsvertrag festgelegt. Alle weiteren Besitzungen der Heiligtümer waren dagegen schon seit dem Neuen Reich in der allgemeinen königlichen Verwaltungs- und Wirtschaftsstruktur integriert und die dort beschäftigten Priester und Funktionäre gegenüber dem König steuerpflichtig.202 Die königliche Macht und die königlichen Interessen in den Tempeln gegenüber den Priestern wurden zumindest in späteren Zeiten durch die Einsetzung von staatlichen Funktionären mit Kontrollfunktion gesichert. Diese erhielten auch ihren Unterhalt vom König in Form von jährlichen Zahlungen, sogenannten συντάξεις.203 Im Zweifelsfalle konnte aber ein starkes Mittel zur Durchsetzung der königlichen Kontrolle in der Regulierung von Zuwendungen an die Tempel und ihre Mitarbeiter bestehen, indem im Ernstfall theoretisch sämtliche Zahlungen eingestellt werden konnten,204 was jedoch ein nicht zu unterschätzendes Unruhepotential mit sich brachte, v.a. wenn der Tempel genügend eigene Finanzkraft besaß, um eine Weile ohne diese Zuwendungen zu überleben. Für die Abhaltung von Priestersynoden, die später eine wichtige Rolle in der Zusammenarbeit von Priesterschaften und Pharao spielen sollten, existiert vor der Regierungszeit des Ptolemaios II. Philadelphos kein einziger Beleg.205
Anmerkungen:
168 Turner (1984), pp. 127-129; s.a. Bengtson (1975), p. 28; Green (1990), p. 187; Ellis (1994)c, p. 64; Koenen (1993), p. 38.
169 Bengtson (1975), p. 27; s.a. Jouguet (1923), p. 419; Jouguet (1930/31), p. 514.
170 Volkmann (1954)e, p. 1632; s. in B) II.) c) 1.) Der offene Krieg gegen Antigonos Monophthalmos.
171 Iust. 27,1, bes. 27,1,9: qui [sc. Ptolemaeus] nisi in Aegyptum domestica seditione revocatus esset, totum regnum Seleuci occupasset.; s.a. FGrH 260 (Porphyrios von Tyros) F43 & FGrH 160 (Bulletin aus dem Dritten Syrischen Krieg) & OGIS 54,8-24 passim & OGIS 56,10-16 (Kanopos-Dekret griechisch) & App. Syr. 65,345-346 & Pol. 5,58,10-11 & P. Haun. 6, frg. I,15-17 & Catull. 66,35-36; s.a. Hölbl (1994), pp. 47-48; Jouguet (1923), p. 423; Huß (2001), pp. 345-347 & 373-375; Blasius (2002), pp. 43-44; Gehrke (2003), pp. 108 & 218-219.
172 Lévêque (1978/79), p. 100; s.a. Heinen (2005), p. 201.
173 Turner (1984), pp. 157-158; s.a. Bouché-Leclercq (1903-1907), Bd. III, p. 165; Otto (1905-1908), Bd. I, pp. 24-25.
174 Thompson (1988), p. 107; s.a. Otto (1905-1908), Bd. I, pp. 259-260; Kessler (1986), p. 368; Chauveau (1998)b, p. 188.
175 Quaegebeur (1979)a, p. 726; s. in D) IV.) c) Die Existenz von Privatbesitz im Rahmen dieses Systems.
176 Otto (1905-1908), Bd. II, pp. 6-42 passim.
177 Lévêque (1978/79), pp. 101 & 104-105.
178 Quaegebeur (1982), p. 1098; s.a. Otto (1905-1908), Bd. I, pp. 203-210.
179 Hölbl (1994), p. 2; s.a. Kienitz (1953), pp. 48-49.
180 Koenen (1993), 38; s.a. Jouguet (1930/31), p. 515.
181 Huß (2001), p. 448.
182 Eddy (1961), p. 296.
183 Hölbl (1994), pp. 3-4; s.a. Klaasens (1945-48), pp. 339 & 344; Kienitz (1953), pp. 59-60; s. in A) II.) a) Die ägyptische Vorgeschichte bis zum Eintreffen Alexanders des Großen.
184 Satrapenstele 8-9 = Urk. II,17; s.a. Vittmann (2003), pp. 140-141; Bevan (1968), pp. 30-32; Hölbl (1994), pp. 75-76; Huß (2001), pp. 214-215; Ladynin (2005), p. 90. Dieser „Arses“ bzw. Ḫšryš(3) wurde ursprünglich mit Xerxes identifiziert. Dies kam wohl dadurch zustande, daß anno 1871 Chababasch, abgesehen von der Satrapenstele, hauptsächlich durch eine Inschrift auf einem Apis-Sarkophag im Sarapieion zu Memphis bekannt war und mit dem Aufstand von 486 gegen Dareios in Verbindung gebracht wurde, der 484 von Xerxes niedergeschlagen worden war (Wachsmuth (1871), p. 471; s.a. Kienitz (1953), p. 185). Aufgrund der heutigen Datierung dieses Pharaos (s. in A) II.) a) Die ägyptische Vorgeschichte bis zum Eintreffen Alexanders des Großen) rückt Xerxes aber in allzu weite zeitliche Ferne, so daß hier inzwischen eine Verschreibung für Artaxerxes III. Ochos Arses angenommen wird, der von November 338 bis Juni 336 regierte und der in der Überlieferung für seine Untaten den ägyptischen Kulten gegenüber berühmt wurde (Goedicke (1985), p. 39; s.a. Ladynin (2005), pp. 98-112 passim).
185 Satrapenstele (Übersetzung: Goedicke (1985), pp. 36 & 41-43 & 45-46); s.a. Bouché-Leclercq (1902), p. 3.
186 Goedicke (1985), p. 45.
187 Huß (1994)b, pp. 16-17; s.a. Volkmann (1954)e, p. 1640; Thompson (1988), p. 114; Ashton (2001), p. 15.
188 Turner (1984), p. 127.
189 SB 16,12519,1-10: Β̣α̣σιλέως προστάξαντος. | Τ̣εμένη μηδὲ ἱερὰ μηθενὶ ἐξέστω [πωλεῖν] | μ̣η̣δ̣’ ἀγοράζειν παρευρέσει μηδεμιᾶ[ι μηδ’ οἱ] | τ̣ελῶναι τέλος τούτων δ̣εχέσθω[σαν] | μ̣η̣δ’ οἱ ἀγορανόμοι καταγραφέτωσαν̣ [αὐτὰ] | μ̣ηδ’ ἐπισταθμευέτω μηδείς. [Ἐὰν δέ τίς τι (?)] | τῶν διηγορευμένων διὰ τοῦ προσ[τάγματος παρα- (?)] | πράξη, τά τε χρηματισθέντα ἄκυ[ρα ἔστω] | κ̣αὶ προσαποτεισάτω ἱερὰ Ἀλεξαν̣[δρείαι ( )]. | (Ἔτους) κ Δαισί[ου; s.a. Hölbl (1994), p. 80; Huß (1994)b, p. 17; Schneider (1994), p. 207.
190 Hagedorn (1986), pp. 65-69.
191 s. C) IV.) a) 2.) Chronologie und Zeitrechnung.
192 Rigsby (1988), pp. 273-274.
193 Huß (2001), pp. 214-215; s.a. Huß (1994)b, p. 71; s. C) III.) b) 1.) Die Klagen und Taten des Petosiris & C) III.) b) 2.) Somtutefnakht (Neapelstele) & C) III.) c) Manethon.
194 Huß (2001), p. 240.
195 Koenen (1983), p. 151; s.a. Bouché-Leclercq (1903-1907), Bd. III, pp. 16-17; Huß (1994)b, p. 54; Dillery (1999), p. 111; s. C) III.) a) Antimakedonische Propaganda.
196 Huß (1994)b, p. 12.
197 Crawford (1980), p. 8.
198 Bengtson (1975), p. 18; s.a. Otto (1905-1908), Bd. II, p. 285; Walbank (1984)b, p. 74; Chauveau (1998)b, p. 188.
199 Kienitz (1953), p. 148; s. in B) II.) a) 2.) β) Die innenpolitische Machtfestigung und die Beseitigung des Kleomenes.
200 Huß (1994)b, pp. 41-43 & 48-51; s.a. Bevan (1968), p. 182; Walbank (1984)b, p. 74; Hölbl (1994), p. 82.
201 Huß (1994)b, pp. 41-42 nn. 63 & 65.
202 s. OGIS 90,29-31 (griechische Version des Rosettadekrets) & Raphiadekret dem. 27-28; s.a. Hölbl (1994), p. 82; Jouguet (1930/31), p. 515 c. n. 1; Kessler (1989), p. 49; Huß (1994)b, p. 69.
203 Hölbl (1994), p. 82; s.a. Rostovtzeff (1953), Bd. I, pp. 282-283; Dunand / Zivie-Coche (2004), p. 207.
204 Thompson (1988), p. 112.
205 s. Huß (1994)b, pp. 47-48; s.a. Otto (1905-1908), Bd. I, pp. 72-75; Thompson (1988), pp. 117-122 passim.