Ptolemaios I. Soter
Christian A. Caroli:
Ptolemaios I. Soter – Herrscher zweier Kulturen
Konstanz 2007 (badawi - artes afro arabica)
Umfang: XIV + 414 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-05-2
Preis (bis 10/2015): EUR 59,99 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015 bis 12/2022): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 01/2023): EUR 19,95 (inkl. 7% MwSt.)
C) Griechen, Makedonen, Ägypter und das ptolemaiische Königtum
III.) Exkurs: Die Ägypter und die makedonische Herrschaft
a) Antimakedonische Propaganda
Antimakedonische Schriften aus ägyptischer Hand haben sich hauptsächlich in der literarischen Form der Prophetie erhalten. Das heißt unter einem bestimmten König aus der Vergangenheit wird einer bestimmten Person bzw. einem bestimmten Wesen eine Prophetie zugewiesen, die sich zum Zeitpunkt der Niederschrift schon teilweise erfüllt hat, während ihr anderer Teil noch als ausstehend deklariert wird, wobei natürlich die Erfüllung des ersten Teils nahelegen soll, daß sich einst auch der zweite erfüllen werde. Solche Prophetien arbeiten in starkem Maße mit Anspielungen, werden aber durch die Zeit hindurch gern erweitert und umgeformt, so daß sie nur schwer interpretiert und in ihren einzelnen Schichten datiert werden können. Daher will dieser Abschnitt hauptsächlich Strömungen und Tendenzen erwähnen.
An erster Stelle steht hier die Demotische Chronik. Sie stellt in ihrem Kern eine Sammlung von äußerst dunklen „Orakelsprüchen“ bzw. Prophetien dar, die sich laut ihrem Anspruch in die Zeit des ägyptischen Königs Teos datieren und an die Exegesen hinzugefügt wurden. Dabei wird von sechs Herrschern gesprochen und v.a. dem letzten dieser Reihe sein Ende vorhergesagt (s. Dem. Chron. 6,14-16), während ein siebter als eine Art „Messias“ geschildert wird, der wieder Recht und Ordnung, also die Maat, mit sich bringen würde, um somit die aktuellen chaotischen Verhältnisse vor seiner Ankunft zu beenden.234 In diesem Sinne baut der Text in seiner moralischen Tendenz auf der Maat-Ideologie auf, indem die Befolgung der Maat durch den König zu einem „goldenen Zeitalter“ führt, während sonst nur ein „dunkles Zeitalter“ vorherrschen kann und die Herrschaft des jeweiligen Königs von Unglück geprägt ist. Der König ist hierbei auch nicht ex officio unfehlbar, sondern kann aufgrund seiner menschlichen Natur seine Amtspflichten verfehlen, was sich dann in einer Katastrophe als Bestrafung durch die Götter ausdrücken konnte, so daß hier explizit die spätzeitliche Ausformung des Königsbildes benutzt wird.235
Interessant für die ptolemaiische Epoche wird dieser Text durch die Ausführung eines Exegeten, gemäß der ein Mann aus Herakleopolis nach den Griechen wieder die Herrschaft erlangen werde (Dem. Chron. 2,25; s.a. Dem. Chron. 3,1). Dann werde unter ihm auch wieder die Maat vorherrschen, indem der neue König gemäß den Gesetzen regieren würde (Dem. Chron. 3,16), die Tempel wieder geöffnet sein und die Opfer an die Götter nicht vernachlässigt würden (Dem. Chron. 3,2-3). Dabei werden wohl die Makedonen als „Hunde“ und wohl Alexander der Große als der „große Hund“ bezeichnet (Dem. Chron. 6,21).236
Aufgrund der Ausführungen, daß die „Ionier“ lange Zeit über Ägypten herrschen würden (Dem. Chron. 6,20), scheint dieser Text in dieser Form in einer Phase der relativen Stabilität der Herrschaft der Ptolemaier entstanden zu sein, da sich hier der Autor offensichtlich sehr resigniert zeigt. Auch kommen keine Anspielungen oder Reflexe auf die ersten ägyptischen Aufstände unter den Ptolemaiern im Jahre 245 vor, so daß der Text anscheinend schon zuvor geschrieben worden war. Dabei muß die zweimalige Bezeichnung eines Herrschers als Wohltäter nicht unbedingt auf Ptolemaios III. Euergetes hinweisen, da dieser Titel schon vorher des öfteren belegt ist.237 Stilistische Merkmale der Schrift und Schreibweisen deuten ebenfalls auf die frühe Ptolemaierzeit hin. Zugleich mußten die Ptolemaier auch schon eine gewisse Zeit in Ägypten seßhaft gewesen sein, da der Text ein Palimpsest darstellt, bei dem ein griechischer Text der frühen Ptolemaierzeit getilgt worden war.238 Nach einem anderen Ansatz sei die Endform der Schrift nach der Schlacht von Raphia 217 anzusetzen, da damals die Teilnahme eines ägyptischen Kontingentes dem ägyptischen Nationalismus einen gewissen Aufschwung gegeben habe,239 wobei sich aber die Frage stellt, warum dann keine Anspielungen auf die Seleukiden vorkommen, die doch ab dem Ende des 3. Jh. zu bedeutend waren, um ausgelassen zu werden (s. Dan 11).
Die textliche Interpretation dieses Werkes wird allerdings dadurch erschwert, daß der Anfang und das Ende des Textes fehlen, die u.U. einen wesentlichen, wenn nicht sogar den größten Teil des Textes dargestellt haben könnten.240 Trotzdem kann mit ziemlicher Sicherheit festgestellt werden, daß es sich bei der Demotischen Chronik in ihrer endgültigen Form um ein Anzeichen einer latenten Opposition in intellektuellen Kreisen gegenüber den Herrschern ihrer Zeit und ihrer jüngeren (u.a. auch ägyptischen) Vergangenheit handelt, die ihrer Meinung nach nicht gemäß der Maat regierten. Diese Kreise mußten dabei über genügende Kenntnisse in der demotischen Schrift verfügen, die auch unter den Ägyptern nur in den höheren Schichten erwartet werden konnten. Am wahrscheinlichsten handelt es sich hierbei um Mitglieder der Priesterschaft. Die Schriftrolle wurde angeblich während der Expedition Napoleons 1801 in Kairo erworben, was angesichts des damals noch kaum organisierten Antiquitätenhandels noch in etwa der Fundregion entsprochen haben könnte, wie auch inhaltliche und stilistische Merkmale am ehesten auf die Deltaregion hindeuten.241
Des weiteren blieben noch Fragmente des Töpfer-Orakels (P2 = P. Rainer; P3 = P. Oxy. 2332) erhalten, das allgemein als eine ägyptische Schrift mit einer ausgeprägten anti-griechischen bzw. anti-makedonischen Haltung angesehen wird. Der Text ist nur fragmentarisch auf griechisch überliefert und läßt keine ägyptischen Phrasen aus sich herausleiten, aber der Stil und seine Intention weisen diesen Text eindeutig als einen der ägyptischen Propaganda aus. Auch das Töpfer-Orakel tritt in Form einer Prophetie auf, die in diesem Falle im Stile einer Apokalypse den Untergang der momentan regierenden Dynastie vorhersagt.242 Der Text stammt zwar selber erst aus dem 2. Jh.,243 dennoch lassen sich in ihm wesentlich ältere Elemente erkennen. Denn in diesem Text wird ein Lamm erwähnt, das eindeutig mit dem Lamm des Bokchoris identifiziert werden kann, dessen Erzählung allerdings nur auf einem äußerst fragmentarischen Papyrus überliefert ist.244 Dieses prophezeite in einem älteren demotischen Papyrus noch die Eroberung und Zerstörung Ägyptens durch die Assyrer und die Wegschleppung der Götter nach Ninive, zugleich enthält sie aber auch Anspielungen, die auf eine Herkunft aus der Perserzeit hinweisen.245 Im Kontext des Töpfer-Orakels verkündet das Lamm auch eine Zeit, in der in Ägypten wieder Recht und Ordnung, also die Maat, vorherrschen soll und die von den Persern geraubten Götterbilder wieder nach Ägypten zurückkehren sollen (Töpferorakel P3 = P. Oxy. 2332, ll. 53-63; P2 = P. Rainier, ll. 30-39). Dies könnte sich direkt auf die ptolemaiische Selbstrepräsentation beziehen und damit zunächst einmal einen pro-ptolemaiischen Zug darstellen.246 In einer letzten Überarbeitung aus der ptolemaiischen Zeit (P3) traten schließlich explizit die Griechen an die Stelle der Meder als die durch den kommenden König der „Heilszeit“ zu besiegende Macht (Töpferorakel P3 = P. Oxy. 2332, ll. 33-34), so daß die Schrift nun auch einen anti-makedonischen Charakter erhielt.247 Dabei handelt es sich um eine eindeutige Interpolation, indem die Griechen einerseits direkt genannt werden, anstatt daß sie mit mythischem Namen versehen werden, und indem andererseits eine zweite Prophezeiung eingeführt wird, auf die sich die Hauptprophezeiung stützt, was normalerweise nicht üblich ist, da eine Prophezeiung aus sich selbst heraus Autorität zu haben pflegt.248
Die Prophezeiung des Lammes war wiederum auch Manethon bekannt, indem dort berichtet wird, daß Amenophis aufgrund einer Weissagung des als weise bezeichneten Sehers Amenophis bzw. Amenotes die unreinen Personen aus Ägypten vertrieben habe in der Hoffnung dann endlich die Götter sehen zu können.249 So wird auch in einer Variante des Töpfer-Orakels der Titel „Die Rechtfertigung eines Töpfers gegenüber dem König Amenophis bezüglich zukünftiger Ereignisse in Ägypten, so weit wie möglich interpretiert“ überliefert, der dieselben Personen erwähnt wie die Version Manethons.250 Somit muß sich die Prophezeiung des Lammes, u.a. zur Zeit Manethons, einer gewissen Beliebtheit erfreut haben und des öfteren rezipiert worden sein.251
Anmerkungen:
234 Huß (1994)b, pp. 145-151 & 162; s.a. Kablony (1975), pp. 1056-1057; Lloyd (1982), p. 41; s.a. Felber (2002), p. 69.
235 Lloyd (1982), pp. 42-43.
236 Huß (1994)b, p. 155; s.a. Lloyd (1982), p. 42; Hoffmann (2000), p. 178. Felber (2002), pp. 94-95 interpretiert diese Stelle (2,24-25: „Herischef ist es, der dem künftigen Herrscher befehlen wird. So kann man sagen: | Ein Mann von Herakleopolis ist der, welcher nach den Ausländern (und – bzw. d.h.) den Griechen Herrscher sein wird“ (p. 78)) als eine Konditionalkonstruktion in dem Sinne, daß der „Mann aus Herakleopolis“ der Herrscher sein werde, der im Sinne des Gottes Herischef von Herakleopolis regieren werde. Somit könne auch ein Ptolemaier grundsätzlich diese Funktion übernehmen. Auch wird schließlich die Zeit der „Hunde“ zumindest als eine ausreichender Lebensmittelversorgung gegenüber der vorangegangenen des Hungers dargestellt (Dem. Chron. 6,15-21; s.a. Felber (2002), p. 106). Dennoch bedeutet auch diese Interpretation des „Mannes aus Herakleopolis“ implizit, daß zumindest die ersten oder gar alle bis zu diesem Zeitpunkt regierenden griechischen Herrscher nicht diesem Ideal entsprochen haben. Ob der Vergleich der Makedonen mit „Hunden“ positiven Charakters ist (Felber (2002), p. 106) oder nicht, hängt dagegen wohl von der Interpretation des restlichen Textes ab, da es für beide Interpretationsrichtungen des Begriffes Anhaltspunkte, aber keine zwingenden Beweise gibt.
237 Huß (1994)b, pp. 160-161.
238 Spiegelberg (1914), pp. 3-4; s.a. Felber (2002), p. 68.
239 Depauw (1997), pp. 97-98. Relativ irrelevant ist hiergegen die Frage, ob es sich bei der Demotischen Chronik um eine zur Regierungszeit des Nektanebos verfaßte Sammlung diverser Orakelsprüche handelt, die dann zu verschiedenen Zeiten (während der Perserherrschaft und unter den Ptolemaiern) von Exegeten mit Interpretationen im Sinne ihrer aktuellen Zeitumstände erweitert wurde (Huß (1994)b, pp. 145-146 & 155), oder ob der gesamte Text in der Ptolemaierzeit verfaßt wurde (Hoffmann (2000), p. 178; s.a. Felber (2002), p. 68 c. n. 68). Denn hier ist lediglich die ptolemaiische Endversion von Interesse.
240 Spiegelberg (1914), p. 5; s.a. Felber (2002), pp. 67-68.
241 Kienitz (1953), pp. 136-138; s.a. Spiegelberg (1914), p. 3; Huß (1994)b, pp. 162-163; s.a. Felber (2002), p. 67.
242 Fraser (1972), Bd. I, pp. 683-684; Text bei: Koenen (1968), pp. 195-209; s.a. Huß (1994)b, pp. 172-173; Koenen (2002), passim. Allerdings könnte es sich auch um den auf griechisch verfaßten Text eines bilingualen Ägypters handeln (Koenen (2002), p. 182), was jedoch die Möglichkeit der Funktion des Textes als ägyptische Propaganda nicht abschwächen würde.
243 Huß (1994)b, p. 173; s.a. Koenen (1968), p. 190; Koenen (1983), p. 181; Koenen (1984), p. 13; Koenen (2002), p. 139.
244 Töpferorakel P3 = P. Oxy. 2332, l. 34; s.a. Fraser (1972), Bd. I, p. 684; Hoffmann (2000), pp. 181 & 186-187; Thissen (2002), pp. 113-121 passim.
245 Huß (1994)b, pp. 163-164; s.a. Fraser (1972), Bd. I, p. 684; Krall (1898), pp. 7-8; Hoffmann (2000), p. 172; s.a. kritisch Thissen (2002), pp. 126-128 mit Verweis auf die äußerst späte Niederschrift (4 n. Chr.), so daß die Assyrer auch für die Seleukiden stehen könnten.
246 Hoffmann (2000), pp. 183-184; s.a. Koenen (1983), pp. 185-186.
247 Huß (1994)b, p. 164; s.a. Koenen (1984), pp. 11-12.
248 Koenen (1968), p. 189.
249 FGrH 609 (Manetho von Sebennytos) F2 (ad Dyn. XXIV) = Synk. p. 138,12 Dindorf & FGrH 609 (Manetho von Sebennytos) F3a-c (ad Dyn. XXIV) = Synk. p. 140,10 Dindorf; s.a. Ail. nat. 12,3 & [Plut.] prov. Alex. 21 Crus; s.a. Fraser (1972), Bd. I, p. 684; Dillery (1999), pp. 106-107.
250 Fraser (1972), Bd. I, p. 684.
251 Hoffmann (2000), p. 187.