Physikotheologie
Christian A. Caroli:
Physikotheologie: Die Natur und ihre Wissenschaften als Glanz Gottes in der Frühaufklärung
publiziert in:
Mohamed Badawi & Christian A. Caroli (Hrg.):
As-Sabil-Sammelbände für Kulturpluralismus;
Band 2: Das Aufeinandertreffen von Kulturen,
S. 177-230.
Konstanz 2009 (badawi - artes afro arabica)
Umfang: 230 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-26-7
Preis (bis 10/2015): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015): EUR 14,95 (inkl. 7% MwSt.)
6. Die Krise der Physikotheologie und ihres Gottesbeweises
6.2. Die „empirische Krise“ der Physikotheologie
Die Physikotheologie erlebte ihre Krise jedoch nicht allein im erkenntnistheoretischen Bereich, sondern sah sich immer stärker Anfechtungen auf empirischer Basis ausgesetzt. So entstanden immer wieder Konflikte zwischen den Erkenntnissen der naturwissenschaftlichen Forschung und der biblischen Naturgeschichte, nach der es gewisse Phänomene eigentlich nicht geben durfte.321
Das wohl berühmteste Problem diesbezüglich bestand in den Funden von Fossilien von Meerestieren in Gebirgen, da ja Gott gemäß dem biblischen Sechs-Tage-Schöpfungsbericht der Genesis (Gen. 1) schon am dritten Tage die Wasser- und Landmasse voneinander getrennt habe, bevor es überhaupt tierisches Leben gegeben habe. Um sich aber von den atheistischen Atomisten abzuheben, sahen die Physikotheologen auch ein Problem darin, diese Phänomene als ludi naturae („Spiele der Natur“) zu deuten. So kam es teilweise zu den abenteuerlichsten Thesen, bis sich schließlich die von Scheuchzer in seiner Natur-Historie des Schweitzer-Lands von 1716 aufgestellte Theorie, daß es Überreste der Sintflut seien, am ehesten durchsetzen konnte.322 Überhaupt sahen sich die Geologen als erste gezwungen den physikotheologischen Aspekt aus ihrer Disziplin auszugliedern, da sie sich v.a. gezwungen sahen, das schon im 17. Jahrhundert immer wieder in Frage gestellte zeitliche Schema der Heiligen Schrift zu durchbrechen. So hatte z.B. schon Burnet die sechs Schöpfungstage als Perioden von der jeweils naturwissenschaftlich angenommenen Länge gedeutet.323
Auch die erweiterte Anwendung kausalmechanischer Erklärung von Naturprozessen in den Naturwissenschaften und ihre immer gewichtigere Rolle brachte noch zusätzlich die Gefahr mit sich, daß die physikotheologischen Anschauungsbilder unglaubwürdig wurden, indem z.B. aus dem durch Gott verursachten lebensspendenden Regen in der kausalmechanischen Deutung schlichtweg die Konsequenz von zu hoher Luftfeuchtigkeit wurde.324 Die Primärursachen mit ihrer finalen Ausrichtung wurden schließlich in dem immer perfekteren Konstrukt der sogenannten Sekundärursachen mit ihrem kausalen Funktionsprinzip immer überflüssiger.325
Hinzu kam auch der Konflikt zwischen der physikotheologischen Behauptung der natürlichen Gesamtharmonie und des teleologischen Charakters der Welt auf der einen Seite und der Theodizee auf der anderen, die auf der immer stärker empfundenen Erfahrung des irdischen Übels basierte.326 Eines der bedeutendsten Schlüsselereignisse zur Erschütterung des Glaubens an die göttliche Vorsehung bestand hier aus heutiger Sicht in dem Erdbeben von Lissabon am Vormittag des 01.11.1755, bei dem ausgerechnet viele der Opfer während des Gottesdienstes zu Allerheiligen in den Kirchen umkamen. Zwar haben Naturkatastrophen an sich den Optimismus nicht besonders mindern können, indem schon vorher frühere größere Erdbeben und später auch das Erdbeben von Lissabon als ein Strafgericht Gottes im Sinne von Sodom und Gomorrha integriert wurden. In diesem Sinne interpretierte John Ray 1693 das Erdbeben in Catania 1692 und Johann Gottlob Krüger 1756 und Johann Georg Zimmermann (1728-1795) das Erdbeben von Lissabon. Dennoch wurde die Kritik am Optimismus allmählich lauter. Schon kurze Zeit später publizierte Voltaire sein Poème sur le Désastre de Lisbonne (Gedicht über die Katastrophe von Lissabon). Von größerer Wirksamkeit sollte jedoch sein 1759 veröffentlichter Roman Candide ou l’optimisme (Candide oder der Optimismus) sein, in dem er aufzeigte, daß statt einer göttlichen Fürsorge der erbarmungslose Zufall herrsche, weshalb die Formulierung der „besten aller Welten“ immer deutlicher zum Hohn wird. Hinzu kam noch, daß die physikotheologischen Werke mit ihrer Neigung zu Trivialitäten überhaupt immer mehr den Spott der Zeitgenossen hervorriefen.327
Schließlich wurden viele physikotheologischen Ansätze einer Naturwissenschaft bzw. eines Gottesbeweises durch die Evolutionstheorie Darwins von 1859 hinfällig, da sie keine Theorie der natürlichen Auslese und Anpassung der Arten vorsahen und diese nicht ohne weiteres mit ihren jeweiligen Weltansichten eines göttlichen Weltplanes vereinbaren konnten.328 Denn v.a. die Angepaßtheit der Arten an ihre Lebensumstände und die scheinbare „Zielgerichtetheit“ der Natur beruhte nicht mehr auf einem teleologischen Prinzip, sondern war nun das Ergebnis von Prozessen nicht teleologischer Natur, die auf reinen Naturgesetzen basieren.329 Auch lag ein weiteres Problem darin, daß die Physikotheologen in ihrer Begeisterung für Gesetzmäßigkeiten, die ja gerade auch Gottes Erhabenheit zeigten, von einem statischen Naturbild ausgingen (Natura non facit saltus – „Die Natur macht keine Sprünge“), während die Evolutionstheorie das Prinzip einer dynamischen Fortentwicklung ohne Plan oder Vorhersehbarkeiten als Grundlage der Biologie einführte.330
Dennoch gab es auch danach noch einzelne Versuche, weiterhin physikotheologische Ansätze aufzustellen. So versuchte der in Cambridge lehrende Theologe Frederick Tennant (1866-1957) die Anpassungsfähigkeit der Physikotheologie u.a. durch die Abänderung des Gottesbeweises Edwards (s. 4.1.7. Jonathan Edwards und die Physikotheologie in Neu-England) zu beweisen. Gemäß seinem System verkörpere hierbei Gott die mit Absicht handelnde Vernunft, welche für den „gesamten Prozeß der biologischen Entwicklung“ verantwortlich sei (II,78-120). Dabei verzichtete er als Reaktion auf die klassische Kritik Humes auf einen Nachweis der Einheitlichkeit, Unteilbarkeit und Unendlichkeit dieses Prinzips der handelnden Vernunft (II,121-122).331 Aber gerade durch das Postulat der Anpaßbarkeit des Beweises an die neuen Rahmenbedingungen, die durch die Evolutionslehre geschaffen worden waren, zeigte er unweigerlich auf, daß dieser Gottesbeweis grundsätzlich von den jeweiligen Weltansichten abhängig ist und deshalb kein Beweis im strengsten Sinne sein kann.
Anmerkungen:
321 Sparn (1992)c, pp. 1212-1213.
322 Groh / Groh (1991), pp. 54-55; s.a. Kempe (2003), pp. 56-72 passim & 106-109.
323 Cassirer (1973), p. 63; s.a. Zöckler (1877/79), Bd. 2, pp. 582-595 passim.
324 Groh / Groh (1991), p. 55.
325 Michel (2008), pp. 177-179.
326 Sparn (1992)c, pp. 1212-1213.
327 Michel (2008), p. 172-176; s.a. Wölfel (1994), p. 197.
328 Clayton (1984), p. 754; s.a. Michel (2008), pp. 193-197.
329 Krolzik (1988), pp. 2-3; s.a. Michel (2008), pp. 194-197 passim.
330 Michel (2008), p. 159.
331 Clayton (1984), p. 754.