Physikotheologie
Christian A. Caroli:
Physikotheologie: Die Natur und ihre Wissenschaften als Glanz Gottes in der Frühaufklärung
publiziert in:
Mohamed Badawi & Christian A. Caroli (Hrg.):
As-Sabil-Sammelbände für Kulturpluralismus;
Band 2: Das Aufeinandertreffen von Kulturen,
S. 177-230.
Konstanz 2009 (badawi - artes afro arabica)
Umfang: 230 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-26-7
Preis (bis 10/2015): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015): EUR 14,95 (inkl. 7% MwSt.)
4. Die geschichtliche Entwicklung und die Hauptvertreter der Physikotheologie
4.2. Deutsche Vertreter
4.2.2. Der Hamburger Kreis
Unter direkter Beeinflussung durch Fabricius standen die physikotheologischen Werke des sogenannten „Hamburger Kreises“. Diesem gehörten auch Johann Christoph Wolf und sein Bruder, der Polyhistor und Bibliothekar Johann Christian Wolf, an, der zusammen mit Mataurin Veyssière de La Croze (1661-1739) den englischen Deismus durch die Veröffentlichung englischer antideistischer Werke zu bekämpfen versuchte. Hinzu kamen aber auch der Theologe Hermann Samuel Reimarus (s. 4.2.3. Hermann Samuel Reimarus) und der Ratsherr und Dichter Barthold Hinrich Brockes (s. 4.2.4. Barthold Hinrich Brockes). Aus diesem Kreis bildete sich 1715 die Teutsch-übende Gesellschaft und 1724 die Patriotische Gesellschaft heraus.244
Das zentrale Anliegen des Hamburger Kreises und der mit ihm kommunizierenden Autoren bestand in aller Regel in der Erörterung zentraltheologischer Angelegenheiten, aus denen sich als Konsequenz die weltanschauliche Anwendung der hieraus gewonnenen Glaubenserkenntnisse ergab. Zugleich bestand ein reger Briefwechsel bezüglich theologischer Fragen und zum Austausch von überall aufgefundenem Quellenmaterial und von Forschungsergebnissen aus aller Welt, wobei Fabricius und die Gebrüder Wolf eine Art letzter Beurteilungsinstanz bildeten.245
Der Hamburger Kreis unterhielt auch freundschaftliche Beziehungen zu prominenten Vertretern der lutherischen Orthodoxie. So waren Johann Friedrich Mayer – Haupt der norddeutschen Orthodoxie und geistiger Mentor von Fabricius –, Johann Melchior Goeze, der wegen seiner schon fanatisch anmutenden Orthodoxie mit dem Schriftsteller Lessing in Streit stand, und Valentin Ernst Löscher, der letzte bedeutende Vertreter der Lutherischen Orthodoxie, der in besonderen Maße mit dem Hamburger Kreis in engem Kontakt stand, selber Physikotheologen. Über letztgenannten ergab sich auch eine Verbindung mit der cathedra Lutheri („Lehrstuhl Luthers“) zu Wittenberg, die an einem engen Kontakt mit den führenden deutschen Physikotheologen, Fabricius und den Gebrüdern Wolf, reges Interesse zeigte, der aber durch eine ablehnende Haltung dieser wiederum nicht zustande kam, da sie bei einem Wegzug nach Wittenberg um ihr Werk in Hamburg fürchteten. Auch wurde ein Netz von Briefwechseln gebildet. Jedoch mußten sich die Physikotheologen nach dem Tode des klassischen Physikotheologen und Superintendenten Gerhard Meier immer stärker gegen die Bremer Calvinisten, die Hallenser Pietisten und die gegnerischen Vorwürfe des „Wolffianismus“ erwehren.246
Der Hamburger Kreis unterhielt auch gute Beziehungen zu den englischen Physikotheologen. Begünstigt wurde dies auch durch den damals sehr bedeutsamen Wasserweg und die weitreichenden kirchlichen Verbindungen zwischen England und Hamburg. So wurde z.B. in der Mitte des 17. Jahrhunderts die „Hamburger Kirche“ in London gegründet. Johann Christoph Wolf hielt sich 1708 zu Studienzwecken in Oxford auf und kam dort auch mit dem englischen Deismus in Kontakt, von dem er einige Vertreter persönlich kennenlernte. So verfolgte er auch aufmerksam die antideistischen Veröffentlichungen englischer Physikotheologen, wie auch er und sein Briefpartner La Croze sich gegenseitig bei der Beschaffung von Textmaterial unterstützten. Die Gebrüder Wolf unterhielten auch einen regen Briefwechsel mit englischen Autoren wie Hudson, Hutchinson, Murray und Parker. Des weiteren gab es auch Versuche des Hamburger Kreises mit dem Patrioten eine deutsche Parallele zu den britischen physikotheologisch-moralischen Wochenblättern wie Guardian, Tatler oder Spectator zu schaffen.247
Schließlich spielten auch Kontakte zwischen dem Hamburger Kreis und dem Schweizer Albrecht von Haller eine gewisse Rolle. Dieser ist v.a. wegen einer gegen Voltaire ausgerichteten und physikotheologisch begründeten Apologetik bekannt, die noch im 20. Jahrhundert eine Würdigung bei Karl Barth248 fand.249
Anmerkungen:
244 Philipp (1957), pp. 34-37 passim; s.a. Michel (2008), p. 133.
245 Philipp (1957), p. 41.
246 Philipp (1957), pp. 41-43; s.a. Krolzik (1988), pp. 169-170. Zum „Wolffianismus“ sei auf das von Christian Wolff aufgestellte System (4.2.5. Christian Wolff und sein „physikotheologisches“ System) verwiesen.
247 Philipp (1957), pp. 44-46.
248 K. Barth: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert – Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich 1947, p. 18.
249 Philipp (1957), p. 40 c. n. 86.