Dr. Christian A. Caroli – د. كْرِسْتْيَان أ. كَارُلِي

Physikotheologie

As-Sabil-Sammelbände für Kulturpluralismus, Band 2: Das Aufeinandertreffen von Kulturen (Coverbild)

Christian A. Caroli:

Physikotheologie: Die Natur und ihre Wissenschaften als Glanz Gottes in der Frühaufklärung

 

publiziert in:

Mohamed BadawiChristian A. Caroli (Hrg.):

As-Sabil-Sammelbände für Kulturpluralismus;

Band 2: Das Aufeinandertreffen von Kulturen,

S. 177-230.
 

Konstanz 2009 (badawi - artes afro arabica)
 

Umfang: 230 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-26-7

Preis (bis 10/2015): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015): EUR 14,95 (inkl. 7% MwSt.)

 

 

 

 

Einleitung*

Pangloss enseignait la métaphysico-théologo-cosmolonigologie. Il prouvait admirablement qu’il n’y a point d’effet sans cause, et que, dans ce meilleur des mondes possibles, le château de monseigneur le baron était le plus beau des châteaux, et madame la meilleure des baronnes possibles.

‹Il est démontré, disait-il, que les choses ne peuvent être autrement: car tout étant fait pour une fin, tout est nécessairement pour la meilleure fin. Remarquez bien que les nez ont été faits pour porter des lunettes; aussi avons-nous des lunettes. Les jambes sont visiblement instituées pour être chaussées, et nous avons des chausses. Les pierres ont été formées pour être taillées et pour en faire des châteaux; aussi monseigneur a un très beau château: le plus grand baron de la province doit être le mieux logé; et les cochons étant faits pour être mangés, nous mangeons du porc toute l’année; par conséquent, ceux qui ont avancé que tout est bien ont dit une sottise: il fallait dire que tout est au mieux.›

 

Pangloß lehrte die Metaphysico-theologico-cosmologie. Er wies in vortrefflicher Weise nach, daß es keine Wirkung ohne Ursache gäbe, daß in dieser besten aller Welten das Schloß des Herrn Baron das schönste aller Schlösser und die Frau Baronin die beste aller Baroninnen sei.

‚Es ist erwiesen‘, so dozierte er, ‚daß die Dinge nicht anders sein können, als sie sind, denn da alles zu einem bestimmten Zweck erschaffen worden ist, muß es notwendigerweise zum Besten dienen. Bekanntlich sind die Nasen zum Brillentragen da – folglich haben wir auch Brillen; die Füße sind offensichtlich zum Tragen von Schuhen eingerichtet – also haben wir Schuhwerk; die Steine sind dazu da, um behauen und zum Bau von Schlössern verwendet zu werden, und infolgedessen hat unser gnädiger Herr ein wunderschönes Schloß. Der vornehmste Baron der ganzen Provinz muß eben auch das schönste Schloß haben. Und da die Schweine dazu da sind, gegessen zu werden, so essen wir das ganze Jahr hindurch Schweinefleisch. Also ist es eine Dummheit, zu behaupten, alles auf dieser Welt sei gut eingerichtet; man muß vielmehr sagen: alles ist aufs beste bestellt.‘1

 

Mit dieser Passage unternahm Voltaire seinen berühmtesten Angriff auf den teleologischen Optimismus des 17. und 18. Jahrhunderts. Überhaupt wandte er sich in dieser Geschichte mit dem Titel Candide ou l’optimisme, die 1759, gerade einmal vier Jahre nach dem großen Erdbeben von Lissabon, erschien, mit besonderer Konzentration auf Leibniz und seine Theorie der bestmöglichen aller möglichen Welten gegen den weltanschaulichen Optimismus. So erleben in der Geschichte die Anhänger dieser Theorie alle möglichen Mißgeschicke und halten trotzdem in allen Situationen am Optimismus fest. Hierdurch wird wiederum der Optimismus ins Lächerliche gezogen.

Eine der optimistischen Hauptströmungen des 17. und 18. Jahrhunderts war die Physikotheologie. Sie zeichnete sich durch einen theistisch-teleologischen Charakter aus. Zugleich errichtete sie eine Brücke zwischen der christlichen Religion und den Naturwissenschaften, als diese während der Frühaufklärung eine immer größere Bedeutung erlangten und in einer Phase zahlreicher wissenschaftlicher Revolutionen zugleich eine eigene Kategorie der Welterklärung darstellten, die zuweilen mit der religiösen Weltanschauung in einen zunächst unüberbrückbar erscheinenden Konflikt geraten konnte. Mittels dieser Brücke wurde die zeitgenössische wissenschaftliche Welterklärung breiteren Schichten zugänglich und akzeptabel gemacht, zumal da die meisten Werke in Volkssprache geschrieben wurden. Hierdurch leistete sie ihren Beitrag zur Aufklärung im wissenschaftlichen Bereich, auch wenn sie hiernach überflüssig und als der aktuellen Wissenschaft nicht mehr adäquat betrachtet wurde. Denn als die Physikotheologie als veraltet schien, hatte die wissenschaftliche Weltanschauung sich soweit etabliert, daß ihr Siegeszug nicht mehr verhinderbar war.

Die Physikotheologie soll auch Thema dieses Aufsatzes sein. Dabei sollen die Hauptaugenmerke darauf gerichtet werden, aus welchen theologischen und geistigen Strömungen diese Richtung entstand, welche aktuellen Erfahrungen den Aufstieg dieser Richtung bewirkten, was für Auswirkungen diese Erfahrungen mit sich brachten und welche Inhalte in ihr eine Rolle spielten, aber auch auf ihre Krise, aus der sie sich nicht mehr wirklich erholen sollte, und ihre Wirkungsgeschichte.

Dazu sollen zuerst nach einer kurzen Begrenzung und Definition des Begriffes im Sinne dieser Arbeit die religiösen und geistigen Wurzeln einschließlich der Entwicklungslinie der Vorströmungen aufgezeigt und schließlich die elementaren Anliegen der Physikotheologie dargestellt werden (s. 1. Begriff, geistige Wurzeln und Anliegen). Der nächste Abschnitt beschäftigt sich dann mit den direkten Ursachen und Zeitumständen der Herausbildung der Physikotheologie, nämlich dem kosmischen Nihilismus, dem Entstehen einer neuen Transzendenz und schließlich der Überwindung des Pessimismus durch die Physikotheologie (s. 2. Die Überwindung des barocken Pessimismus und das Entstehen einer neuen Transzendenz). Danach werden die zentralen Elemente der Physikotheologie, nämlich die Offenbarung in der Natur, der physikotheologische Gottesbeweis mit der besonderen Berücksichtigung von Newton und die damit verbundene Degradierung der christlichen Hamartiologie behandelt (s. 3. Die Offenbarung in der Natur und der physikotheologische Gottesbeweis). Es folgt eine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung einschließlich der Hauptvertreter der Physikotheologie, wobei eine Abhandlung eines repräsentativen Autors ausführlicher vorgestellt werden soll (s. 4. Die geschichtliche Entwicklung und die Hauptvertreter der Physikotheologie). Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der Spezialisierung der Physikotheologie einschließlich der damit verbundenen Gottesbeweise aufgrund des teleologischen Prinzips der Physikotheologie (s. 5. Die Spezialisierung der Physikotheologie). Des weiteren wird auch die Krise der Physikotheologie und ihres Gottesbeweises am Ende behandelt, die zugleich das Ende ihrer Glanzzeit bedeutete (s. 6. Die Krise der Physikotheologie und ihres Gottesbeweises), um schließlich noch einen Augenmerk auf ihre Wirkungsgeschichte zu werfen (s. 7. Geistesgeschichtliche Bedeutung der Physikotheologie und Wirkungsgeschichte).

 

 

Anmerkungen:

* Der Kern dieses Aufsatzes entstand im Rahmen des von Herrn Prof. Dr. Rudolf Schlögl 1999 an der Universität Konstanz gehaltenen Seminars „Religiöse Erfahrung in der Frühen Neuzeit“, wurde aber anläßlich dieser Publikation nochmals überarbeitet und bibliographischen Ergänzungen unterzogen.

Der Aufsatz soll hierbei lediglich eine Übersicht zu diesem Thema darstellen und es interessierten Lesern vorstellen. Insbesondere konnte nicht auf alle Detailfragen eingegangen werden, wie auch der gegebene Zeitrahmen es nicht zuließ, sich mit allen hier aufgeführten Werken persönlich auseinanderzusetzen. Schließlich war es in dem gegebenen Rahmen und unter den gegebenen Ressourcen nicht möglich, auch nur annähernd an alle in diesem Aufsatz erwähnten physikotheologischen Werke heranzukommen. Für tiefergehende Studien sei hier jedoch auf die im Literaturverzeichnis aufgeführten Werke verwiesen (8. Literaturverzeichnis).

Schließlich möchte ich Herrn Prof. Dr. Rudolf Schlögl für seine Anregungen und Hinweise beim Entstehen des Urtextes danken.

1 Voltaire: Candide ou l’optimisme – traduit de l’allemand de Mr. le docteur Ralph, avec les additions qu’on a trouvées dans la poche du docteur, lorsqu’il mourut à Minden, l’an de grâce 1759, Chapitre Premier; nach: H. Bénac (Hrg.): Voltaire – Romans et Contes – Texte établi sur l’édition de 1775, avec une présentation et des notes, Paris 1960.

Deutsche Übersetzung nach: V. Klemperer (Hrg.): Voltaire – Sämtliche Romane und Erzählungen, Frankfurt/M / Leipzig 1992, p. 284.

 

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