Dr. Christian A. Caroli – د. كْرِسْتْيَان أ. كَارُلِي

Mythisierung einer Kulturlandschaft

Caroli: Mythisierung einer Kulturlandschaft (Coverbild)

Christian A. Caroli:

Mythisierung einer Kulturlandschaft – Vergils Behandlung der Landschaft Kampaniens bei den Phlegräischen Feldern
 

Konstanz 2013 / 2019
 

Umfang: VIII + 49 Seiten • Format: 21 x 14,8 cm (A5)

 

 

 

 

Einleitung*

Wenn Vergil Kampanien als die Kulisse der Handlungen des Sechsten Buches seiner Aeneis heranzog, so handelte es sich nicht gerade um eine unbedeutende Gegend. Kampanien hatte als einer der ersten Orte Italiens Siedler angezogen, und um 750 existierte bei Cumae die erste auf dem italischen Festland belegbare feste griechische Kolonie, während aufgrund der metallerzhaltigen Berge Kampaniens schon in vorgriechischer Zeit dort eine bescheidene Bronzeindustrie entstand. Trotz der etruskischen Konkurrenz erlebte Kampanien einen wirtschaftlichen Aufschwung, bis es 425 durch die Samniten erobert wurde, die wiederum durch die Römer besiegt wurden. Aufgrund dieser Geschichte erlangte Kampanien eine recht hohe Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der italischen Halbinsel im Bereich von Architektur, Religion, Philosophie und Literatur. Die Römer schlossen Kampanien durch die via Appia an Rom und an den Süden der italischen Halbinsel an und bauten es mit den Häfen von Puteoli und Neapolis als Seefront aus, so daß Kampanien eine Basis für die römische Herrschaft über die Mittelmeerwelt bildete. Hannibal wurde in Capua bezwungen, Scipio verbrachte sein Exil in Liternum, Marius floh in die Sümpfe von Minturnae, Cicero wurde in Caieta ermordet, und Brutus floh dorthin nach der Ermordung Caesars.1 Zugleich stellte der ager Campanus in der Römischen Republik als Staatsland eine der Haupteinnahmequellen dar, und der Versuch der Verteilung dieses Landes von 63 und die 59 folgende Durchführung dieser waren sehr umstritten.2 Aber Kampanien war nicht nur ein Ort von historischer Bedeutung, sondern auch einer, der mit vielen Mythen verbunden war. So trieb Herkules die Rinder des Geryon durch die Phlegräischen Felder, und Odysseus und Aeneas landeten an der kampanischen Küste.3

Kampanien war somit eine Gegend, die den gebildeteren unter Vergils Zeitgenossen in mehrfacher Hinsicht etwas sagte, zumal da sie eine in der ausgehenden Republik und im Kaiserreich sehr beliebte Villengegend darstellte, in der die Staatsmänner der ausgehenden Republik ihre berühmten piscenarii anlegen ließen,4 so daß es sich um eine Gegend handelte, die wohl fast jeder Leser von Vergils Aeneis persönlich kannte. Dementsprechend stellte ein Vergleich zwischen der beschriebenen literarischen Landschaft und der reell existierenden für die Leser kein größeres Unterfangen dar. Zugleich war es Vergil auch sehr leicht möglich die Landschaft, die er beschrieb, selber zu studieren, so daß hier die literarischen Landschaften sehr wohl eine Beschreibung der reell vorfindbaren Landschaft darstellen können, zugleich aber auch betrachtet werden kann, ob die Landschaften der Unterwelt sich an reelle Landschaften der Gegend anlehnen oder ob es sich hier dann um wirkliche Fiktionen handelt.

Auch bestand nach der Publikation der Aeneis seit der Antike ein reges Interesse an der Landschaft Kampaniens, wobei die in der Aeneis beschriebenen Orte, wie der Apollontempel und die Grotte der Sibylle von Cumae den Mittelpunkt dieses Interesses bildeten.5 In der Frühen Neuzeit wurde diese Gegend aufgrund ihrer Verbundenheit mit der Antike sehr oft zum Inhalt von z.T. den Ort verherrlichenden Reiseführern und Ortsbeschreibungen, die auf die antiken Ereignisse und literarischen Werke, die öfters zitiert wurden, ausgerichtet waren. Aber mit der Zeit, v.a. im 17. Jh., schimmert in vielen Berichten auch die Enttäuschung von Erwartungen an Kampanien durch, bis im 18. Jh. das Interesse an dieser Region bei vielen Reisenden und Autoren nachließ. Dem wurde aber durch die beginnenden Ausgrabungen in Herculaneum (ab 1738) und Pompei (ab 1748) mit ihren Funden entgegengewirkt, was aber nun zu einem Interesse an den Altertümern als solches und einem an ohne lange historische Beschreibungen erkennbaren Überresten führte, während man die nichtssagenden Steinhaufen in Kampanien im gegenwärtigen Zustand immer mehr verachtete, ohne ihnen einen gewissen Wert in der Antike abzusprechen.6 Damit handelt es sich bei dieser Gegend auch um ein Gebiet von einer jahrhundertelangen, z.T. kontinuierlichen Rezeptionsgeschichte.

Nach einer recht weitverbreiteten Meinung kommen in der antiken Literatur fast keine reell existierenden Landschaften vor, sondern nahezu jegliche Landschaftsbeschreibung stelle eine Zusammensetzung von Topoi ohne individuelle Eigenschaften der eigentlichen Landschaft dar,7 während die eigentliche Landschaftsdarstellung als eine Errungenschaft wesentlich der Frühen Neuzeit angesehen wird. Hierauf soll im Rahmen dieses Aufsatzes ein Augenmerk geworfen werden. Denn gerade im Sechsten Buch der Aeneis spielen zum einen landschaftliche Elemente eine große Rolle und handelt es sich zum anderen – wie schon erwähnt – um eine genau lokalisierbare Landschaft. Dabei kommt zugleich aber auch eine typisch fiktive Landschaft, nämlich die Unterwelt, vor, so daß sich dieses Buch sehr gut für diese Betrachtungen eignet.

Die Betrachtung der Landschaftsdarstellung im Sechsten Buch der Aeneis Vergils soll dabei in drei Hauptschritten erfolgen. Zuerst sollen in einem einleitenden Kapitel die verschiedenen Formen der Landschaftsbeschreibung bei Vergil im allgemeinen dargestellt werden (s. A) Formen der Landschaftsbeschreibung), danach die verschiedenen Landschaftsdarstellung innerhalb der Handlung dieses Buches betrachtet werden (s. B) Die Beschreibung der Landschaft Kampaniens), um dann schließlich die Verbindung und Vereinbarkeit dieser im sechsten Buch entwickelten Landschaft von Ober- und Unterwelt mit der reell existierenden Landschaft und ihre Komposition zu untersuchen (s. C) Vergils Kampanien).

 

 

Anmerkungen:

* Der Kern dieses Aufsatzes entstand im Rahmen des von Frau Prof. Dr. Barbara Feichtinger (inzwischen Feichtinger-Zimmermann) und Herrn Dr. Gerd Blum 2000 an der Universität Konstanz gehaltenen Seminars „‚Ideale Orte‘: Texte und Bauten aus Antike und Renaissance“, wurde aber anläßlich der ursprünglich geplanten Publikation nochmals überarbeitet und bibliographischen Ergänzungen unterzogen.

Ursprünglich sollte dieser Aufsatz in der vorliegenden Version von 2013 in M. Badawi / Ch. A. Caroli (Hrg.): As-Sabil Sammelbände für Kulturpluralismus; Bd. 3 publiziert werden. Dieser Sammelband wurde jedoch aus mehreren Gründen niemals fertiggestellt und wird auch in absehbarer Zeit nicht publiziert werden.

Danken möchte ich Frau Prof. Dr. Barbara Feichtinger-Zimmermann für ihre Anregungen und Hinweise beim Entstehen des Urtextes.

1 s.a. Smiley (1948), p. 97; Stärk (1995), pp. 10-11.

2 McKay (1970), pp. 194-203 passim.

3 Stärk (1995), p. 10.

4 Stärk (1995), pp. 9-10; s.a. McKay (1970), pp. 195-196.

5 Stärk (1995), pp. 59-62.

6 Stärk (1995), pp. 7-31 passim.

7 „Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß ein erheblicher Teil der antiken ekphrastischen Literatur gar keine bestimmten Monumente beschreiben will, sondern typische Gebäude bzw. bekannte Historien aus Anlaß einer fiktiven Besichtigung in die anschauliche Form eines Bildes erhebt.“ (Boehm (1995), p. 36).

 

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