Dr. Christian A. Caroli – د. كْرِسْتْيَان أ. كَارُلِي

Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen III

Caroli: Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen III (Coverbild)

Christian A. Caroli:

Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen III – Das Museion zu Alexandreia und das Programm des Ἑλληνισμός unter Ptolemaios I. Soter
 

Konstanz 2019
 

Umfang: VIII + 70 Seiten • Format: 21 x 14,8 cm (A5)

 

 

C) Die kulturelle Bedeutung von Museion und Bibliothek und ihr weiteres Schicksal

II.) Die Effektivität der Forschung und sie beeinflussende Faktoren

Abgesehen von der primären Zwecksetzung des Museion als einer Institution der Repräsentation müsse nach Meinung vieler Forscher in der elitären Selbstanschauung einer der Gründe gesucht werden, warum in der Phase der Blüte in den Wissenschaften auf der theoretischen Seite relativ wenige praktische Fortschritte im Bereich der angewandten Technologie erzielt wurden. Denn die Konstruktion von Geräten bzw. die genau quantifizierte Mischung von Chemikalien wurden als eine handwerkliche Arbeit verstanden, die einem Wissenschaftler nicht zugemutet werden konnte oder bei der man zumindest mit Handwerkern zusammenarbeiten mußte, während die theoretische Fortentwicklung der Wissenschaft auch als solche einen Selbstzweck wissenschaftlichen Strebens bildete.23 Verstärkend wirkte auch das seit Platon propagierte vorrangige Vertrauen in die Leistungen des Denkens gegenüber der empirischen Beobachtung,24 wobei dieser schon zur Veranschaulichung dieses Vorrangs die Analogie des Gerichtsprozesses herangezogen hatte (Plat. Gorg. 471d-472d), bei dem τὰ εἰκότα (Plat. Phaidr. 266e), also Wahrscheinlichkeitserwägungen, Zeugenaussagen vorgezogen werden müssen, da im schlimmsten Falle alle Zeugen zusammen lügen können.25 So konnte sich die Wissenschaft des Hellenismus niemals wirklich von der philosophisch-metaphysischen Spekulation lösen, indem sie sich nicht lediglich mit den „Erscheinungen“ beschäftigte, sondern immer versuchte, auch die metaphysischen „Hintergründe“ zu erkennen und dabei diese in den Vordergrund des wissenschaftlichen Arbeitens stellte und daraus die Folgerungen für die „Wirklichkeit“ zog.26 Hinzu kam noch eine Überstrapazierung des Argumentes der Analogie, das an sich keine absolute Beweiskraft besitzt und in seiner pragmatischen Wirksamkeit auch von der Nähe des miteinander in Analogie Gesetzten abhängt.27 Jedoch fand die zwar nicht mehr ganz neue, aber dennoch noch nicht allgemein anerkannte Sicht der naturwissenschaftlichen Praxis als eines Versuches der Erklärung von Sachverhalten aus der Welt heraus und in Form von in sich geschlossenen Systemen ohne wesentliche Zuhilfenahme des Göttlichen eine breite Basis.28 Aber auch ohne diese Vorbelastungen wurde jegliche wissenschaftliche Forschung abgesehen davon, daß selbst bei den physikalischen Grundgesetzen nur eine mangelhafte Kenntnis vorhanden war,29 durch methodologische Probleme in der Beobachtung und Messung stark beeinträchtigt. In vielen Bereichen waren die Meßtechniken äußerst ungenau, wenn überhaupt normierte Maßeinheiten bestanden, so daß z.B. nicht klar ist, ob und wie Herophilos den Puls maß (s. in D) II.) c) Herophilos von Chalkedon) oder ob er schlichtweg relative Begriffe wie „schnell“ und „langsam“ benutzte.30 Ebenso schwerwiegend erwiesen sich die Unzulänglichkeiten im Bereich der Beobachtung, da spätestens seit Aristoteles bis zur beginnenden Neuzeit bei der Beobachtung hauptsächlich auf die eigenen Sinne wie v.a. das Auge vertraut wurde, die ja im Sinne der Teleologie eben hierfür eingerichtet waren, und die Beobachtungen im Gesamtzusammenhang der Natur durchführt wurden. Dagegen bedurfte die Verwendung von Hilfsgeräten zur Messung und Beobachtung wie z.B. in der frühen Neuzeit das Teleskop und die Durchführung des wissenschaftlichen Versuches als eines abgeschotteten Raumes mit gegebenen Rahmenbedingungen einer langwierigen Entwicklungsgeschichte, bei der diese sich erst als zweckmäßig und adäquat herausstellen mußten.31 So entstanden die technischen Fortentwicklungen in der Lebensmittelherstellung, Landwirtschaft, Seewesen und Metallurgie, die zu einem gewissen Maße während der Epoche des Hellenismus verzeichnet werden können, hauptsächlich auf der Basis des Prinzips von trial and error.32

Einen wirklichen Drang zur technischen Fortentwicklung gab es v.a. in der Militärtechnik,33 da dort ein existentielles Interesse des Staates bzw. des geldgebenden Monarchen vorhanden war. Im Bereich der Technik wurden zwar hin und wieder Maschinen von gewisser Komplexität und Raffinesse errichtet, die jedoch selten einen wirklich praktischen Nutzen hatten, sondern hauptsächlich als Spielereien dienten.34 Jedoch bestand aus damaliger Sicht auch keine Notwendigkeit dafür, irgendwelche technischen Geräte zur Vereinfachung der Arbeit, v.a. aber keine zur Ersetzung der Menschenkraft zu entwickeln. Denn solange genügend menschliche Arbeitskräfte vorhanden waren, hatten die Oberschicht, die Landbesitzer und die Geschäftsleute kein Interesse an einer Ersetzung dieser Arbeitskräfte durch technisches Gerät, da diese nur freigesetzt worden wären und so eine Grundlage für soziale Unruhen hätten bilden können, denen durch möglichst erschöpfende Beschäftigung zu begegnen versucht wurde.35 Außerdem widersprachen der Einsatz von technischen Geräten und größere Investitionen zur Steigerung der Produktivität den Intentionen der damaligen Ökonomie und Wirtschaftspolitik, die nicht das Wachstum, sondern die Stabilität als ihr vorrangiges Ziel ansah.36 Ferner stellten Arbeitskräfte keinen allzu hohen Kostenfaktor dar im Gegensatz zu aufwendigen technischen Geräten. So wurde nur für spezielle Gelegenheiten bzw. in Notsituationen nach technischen Lösungen gesucht, die dann auf diesen speziellen Fall abgestimmt waren und in der Regel keine weitere Anwendung mehr fanden, wie z.B. die nach Plänen des Archimedes konstruierten mechanischen Abwehrgeräte im Rahmen der römischen Belagerung von Syrakus.37

Die Medizin als wissenschaftliche Disziplin erreichte in Alexandreia im 3. Jh. einen gewissen Höhepunkt, so daß sie gemäß unserem Wissen einen Standard besaß, der in der Antike sonst niemals erreicht wurde.38 Dieser Standard wurde aber v.a. durch die besonderen Umstände, die in Alexandreia vorherrschten, ermöglicht. Denn allein die Unterstützung eines absoluten Monarchen, der entgegen den allgemeinen Anschauungen der damaligen Zeit die Sektion menschlicher Körper zuließ, machte diesen Entwicklungsschub in Folge der Sektion am Menschen zur Möglichkeit, v.a. da der König als Patron die erforderlichen Ressourcen reichlich zur Verfügung stellte.39 Zugleich konkurrierte Alexandreia niemals gegen Kos als Ausbildungsstätte für praktizierende Ärzte, sondern spezialisierte sich auf der akademischen Ebene.40 Allerdings muß hierzu noch angemerkt werden, daß die Informationen über die Lehren der einzelnen Mediziner hauptsächlich von Galen stammen, der Errungenschaften und Lehrmeinungen oftmals nur pauschal Schulen, aber nicht einzelnen Personen zuordnete und sie gemäß seiner eigenen medizinischen Theorie beurteilte, wobei er selber auch nicht mehr immer die Originalhandschriften der Wissenschaftler besaß. Die anderen Quellen der frühen Kaiserzeit, die sowieso insgesamt nur wenige zusätzliche Informationen gegenüber Galen liefern, weisen ähnliche Mängel auf.41 Daher können medizinische Entwicklungen nicht immer einer bestimmten Person oder Generation zugeordnet werden, wie auch die Gefahr der inhaltlichen Verformung im Sinne der Ansichten des Tradierenden besteht.

 

 

Anmerkungen:

23 s. Plut. Marc. 17,4: ...ἀλλὰ τὴν περὶ τὰ μηχανικὰ πραγματείαν καὶ πᾶσαν ὅλως τέχνην χρείας ἐφαπτομένην ἀγεννῆ καὶ βάναυσον ἡγησάμενος [sc. Ἀρχιμήδης], εἰς ἐκεῖνα καταθέσθαι μόνα τὴν αὑτοῦ φιλοτιμίαν οἷς τὸ καλὸν καὶ περιττὸν ἀμιγὲς τοῦ ἀναγκαίου πρόσεστιν, ασύγκριτα μὲν ὄντα τοῖς ἄλλοις, ἔριν δὲ παρέχοντα πρὸς τὴν ὕλην τῇ ἀποδείξει, τῆς μὲν τὸ μέγεθος καὶ τὸ κάλλος, τῆς δὲ τὴν ἀκρίβειαν καὶ τὴν δύναμιν ὑπερφυῆ παρεχομένης·; s.a. Green (1990), p. 456.

24 s. Plat. rep. 528d-535a passim & Plut. Marc. 14,5-6: Τὴν γὰρ ἀγαπωμένην ταύτην καὶ περιβόητον ὀργανικὴν ἤρξατο μὲν κινεῖν οἱ περὶ Εὔδοξον καὶ Ἀρχύταν, ποικίλλοντες τῷ γλαφυρῷ γεωμετρίαν, καὶ λογικῆς καὶ γραμματικῆς ἀποδείξεως οὐκ εὐποροῦντα προβλήματα δι’ αἰσθητῶν καὶ ὀργανικῶν παραδειγμάτων ὑπερείδοντες, ὡς τὸ περὶ δύο μέσας ἀνὰ λόγον πρόβλημα καὶ στοιχεῖον ἐπὶ πολλὰ τῶν γραφομένων ἀναγκεῖον εἰς ὀργανικὰς ἐξῆγον ἀμφότεροι κατασκευάς, μεσογράφους τινὰς ἀπὸ καμπύλων γραμμῶν καὶ τμημάτων μεθαρμόζοντες· | ἐπεὶ δὲ Πλάτων ἠγανάκτησε καὶ διετείνατο πρὸς αὐτοὺς ὡς ἀπολλύντας καὶ διαφθείροντας τὸ γεωμετρίας ἀγαθόν, ἀπὸ τῶν ἀσωμάτων καὶ νοητῶν ἀποδιδρασκούσης ἐπὶ τὰ αἰσθητά, καὶ προσχρωμένης αὖθις αὖ σώμασι πολλῆς καὶ φορτικῆς βαναυσουργίας δεομένοις, οὕτω διεκρίθη γεωμετρίας ἐκπεσοῦσα μηχανική, καὶ περιορωμένη πολὺν χρόνον ὑπὸ φιλοσοφίας μία τῶν στρατιωτίδων τεχνῶν ἐγεγόνει.; Aristot. anal. pr. 2,27; s.a. Green (1990), pp. 457 & 481-482.

25 s. Isokr. Kallim. 52-54: Κρατῖνος γὰρ ἠμφισβήτησε χωρίου τῷ τούτου κηδεστῇ. μάχης δ’ αὐτοῖς γενομένης, ὑποκρυψάμενοι θεράπαιναν ᾐτιῶντο τὸν Κρατῖνον συντρῖψαι τῆς κεφαλῆς αὐτῆς, ἐκ δὲ τοῦ τραύματος φάσκοντες ἀποθανεῖν τὴν ἄνθρωπον λαγχάνουσιν αὐτῷ φόνου δίκην ἐπὶ Παλλαδίῳ. πυθόμενος δ’ ὁ Κρατῖνος τὰς τούτων ἐπιβουλὰς τὸν μὲν ἄλλον χρόνον ἡσυχίαν ἦγεν, ἵνα μὴ μεταθεῖντο τὸ πρᾶγμα μηδ’ ἑτέρους λόγους ἐξευρίσκοιεν, ἀλλ’ ἐπ’ αὐτοφώρῳ ληφθεῖεν κακουργοῦντες· ἐπειδὴ δ’ ὁ κηδεστὴς μὲν ἦν ὁ τούτου κατηγορηκώς, οὗτος δὲ μεμαρτυρηκὼς ἦ μὴν τεθνάναι τὴν ἄνθρωπον | ἐλθόντες εἰς τὴν οἰκίαν ἵν’ ἦν κεκρυμμένη, βίᾳ λαβόντες αὐτὴν καὶ ἀγαγόντες ἐπὶ τὸ δικαστήριον ζῶσαν ἅπασι τοῖς παροῦσιν ἐπέδειξαν. ὥσθ’ ἑπτακοσίων μὲν δικαζόντων, τεττάρων δὲ καὶ δέκα μαρτυρησάντων ἅπερ οὗτος, οὐδεμίαν ψῆφον μετέλαβε; s.a. Plat. Phaidr. 273b-c & Aristot. pol. 8,1,4 & rhet. 1,15,15-19; s.a. Green (1990), p. 457; Préaux (1978)b, Bd. II, pp. 629-630.

26 Schneider (1967/69), Bd. II, pp. 340-341.

27 s. Préaux (1978)a, p. 306.

28 s. Clauss (2003), p. 103.

29 Fraser (1972), Bd. I, p. 446.

30 Préaux (1978)b, Bd. II, p. 630.

31 Sehr gut wird dieses Problem des „Methodologischen Wechsels“ in Chalmers (2001), pp. 131-140 anhand der Beispiele der teleskopischen Beobachtungen des Galileo Galilei und der Experimente des Robert Boyle dargestellt.

32 Davies (1984), p. 329.

33 Davies (1984), p. 329; s.a. Fraser (1986), p. 101; Gehrke (2003), pp. 97 & 209.

34 Samuel (1983), pp. 58-60; s.a. Badian (1964), p. 187.

35 Green (1990), p. 469; s.a. Badian (1964), p. 187.

36 s. Samuel (1983), p. 50; s.a. Caroli (2007), pp. 236-237.

37 Plut. Marc. 14,4 & 14,7-17,3; Samuel (1983), pp. 57-59.

38 Fraser (1972), Bd. I, p. 341: „In spite of these limitations a sufficiency of facts emerges from our sources to enable us to state with some confidence that in some vital respects the medical achievement of Alexandria, especially in the third century B.C., reached a level never achieved before, or indeed again until the seventeenth century. In medicine, as in mathematics and scholarship, what lies between Ptolemaic Alexandria and the modern world represents a retrogression from the Alexandrian performance.“; s.a. Gehrke (2003), p. 98.

39 Fraser (1972), Bd. I, p. 446.

40 Fraser (1972), Bd. I, p. 344.

41 Fraser (1972), Bd. I, pp. 339-340.

 

Diese Inhalte sind urheberrechtlich geschützt (UrhG) und dürfen nur nach expliziter Genehmigung der Rechteinhaber an anderer Stelle publiziert werden.