Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen III
E) Der Ἑλληνισμός
I.) Der Ἑλληνισμός als Programm des Königs
Mit der Errichtung von Museion und Bibliothek demonstrierte Ptolemaios I. auch die Zugehörigkeit des ptolemaiischen Reiches zum griechischen Kulturbereich. Mit ihnen verfolgte er ein Programm des Ἑλληνισμός (Hellenismós), wobei dieser Begriff einer gewissen Klärung bedarf, um nicht mit dem modernen des Hellenismus verwechselt zu werden. Denn ursprünglich bezog er sich auf die Benutzung der griechischen Sprache als solche (Athen. 9,367a & 9,393a; s.a. Plat. Men. 82b (ἑλληνίζειν)) und hierbei v.a. auf die der von den alten Dichtern und Schriftstellern benutzten und überlieferten Schriftsprache. Im erweiterten Sinne konnte dieser Begriff auch zur Bezeichnung der griechischen Lebensweise und Kultur im allgemeinen, die mit der griechischen Sprache wesentlich verbunden waren, benutzt werden, wobei im ältesten Beleg diese Wendung noch im negativen und ablehnenden Sinne benutzt wurde, indem der Ἑλληνισμός zur Negativschablone der Makkabäerbücher wurde.1
Zugleich wollen einige Forscher in der Errichtung von Museion und Bibliothek die Intention sehen, mit deren Hilfe die Überlegenheit der griechischen Kultur zu demonstrieren.2 Hierzu stellt sich aber dann die Frage, warum auch Werke nicht-griechischer Herkunft aufgenommen wurden und ein zumindest ansatzweises Interesse an ägyptischer Geschichte bestand, wie das Werk Manethons offenbart.3 Eher schon dürfte die Intention vorgelegen haben, ein Gegengewicht der griechischen Oberschicht in Ägypten gegenüber der traditionellen einheimischen Gelehrsamkeit aufzubauen bzw. in „a deliberate competition with the achievements of their new country“ zu treten.4 Gleichzeitig sollten die beiden Institutionen wohl eine ernsthafte Konkurrenz zu den traditionellen griechischen Zentren der Gelehrsamkeit wie z.B. Athen bilden,5 wobei sie aber wiederum auch an diese gewandt waren, indem sie gerade an diese Gelehrsamkeit anzuschließen versuchten.6
Die Förderung der griechischen Kultur durch die Diadochen im allgemeinen diente auch zu Legitimationszwecken v.a. gegenüber den Griechen und Makedonen, indem damit demonstriert wurde, daß der Herrscher in seinem Herrschaftsgebiet für die Wahrung und die Aufrechterhaltung der griechischen παιδεία (Bildung) Sorge trug. Gleichzeitig versuchte er, sich durch eine ausgeprägte Kulturpolitik auch außerhalb seines Herrschaftsgebietes in der griechischen Kulturwelt ein gewisses Ansehen zu verschaffen.7 Dabei stellten gerade auch Dichter immer ein wesentliches Mittel zur Selbstrepräsentation dar, indem gerade diese den Herrscher oder seine Dynastie rühmen konnten, so daß dieser eine werbewirksame Darstellung erfuhr.8 Dementsprechend können für jeden der hellenistischen Höfe Einladungen an Gelehrte wie Philosophen und Philologen, aber auch Dichter nachgewiesen werden.9 Außerdem konnten die Ptolemaier niemals eine Politik der Assimilation an die ägyptische Kultur betreiben, da sie in ihrer Herrschaftsausübung auf ein makedonisch-griechisches Heer und einen in den wesentlichen Positionen aus Griechen und Makedonen bestehenden Verwaltungsapparat angewiesen waren.10 In diesem Sinne bestand auch die Notwendigkeit und das Problem, inmitten dieser fremdartigen einheimischen Kultur eine griechisch-makedonische Oberschicht über Generationen hinweg zu erhalten.11 So wurden schon unter Ptolemaios I. mit den Jahrzehnten seiner Regierung die Vertreter der makedonisch-griechischen Kultur, die zur Zeit Alexanders des Großen und seiner eigenen Machtübernahme in Ägypten gelebt hatten, immer älter und starben allmählich auch hinweg, so daß aufgrund der Distanz zum griechischen Mutterland und zu Kleinasien ein organisierter griechischer Kulturbetrieb notwendig wurde, um somit neue Generationen makedonisch-griechischer Kulturträger heranzuziehen. Dementsprechend stellten z.B. in der Mitte des 3. Jh. die Griechischlehrer eine der privilegierten Gruppen dar, die von der Zahlung der Salzsteuer befreit waren.12 Schließlich gestalteten sich die Aufgaben eines regierenden Herrschers so vielfältig, daß er des öfteren des Rates von Spezialisten bedurfte, so daß die Präsenz von Philosophen in nächster Umgebung des Machthabers auch hierin mitbegründet sein dürfte.13
Die Politik des Ἑλληνισμός bestand dabei nicht nur in der kulturellen Förderung, sondern auch in der der griechischen Kulte. So stiftete Ptolemaios der Aphrodite auf Delos eine Kylix (SIG3 390,B,8-13 & IG XI,161B,26-27), eine Weihgabe an Apollon in Milet (Inschr. Milet 244) und nahm an Wagenrennen in Olympia teil (Poseidippos 88AB & 78,1-5AB).14
Ein potentielles Problem dieser Politik des Ἑλληνισμός bestand darin, daß sich das klassische Griechentum von einem Königtum zu distanzieren und klassische Autoren, die dieses Thema berührten, deutlich zwischen dem freien griechischen Bürger und dem barbarischen Untertan als einer Art Sklave des Königs zu unterscheiden pflegten. Hierzu entwickelte sich jedoch relativ rasch ein neues Konzept eines hellenistischen Königtums, das die alten Vorbehalte beseitigen konnte, wie sich auch die Philosophen recht schnell mit der neuen Situation arrangieren konnten.15 Auch dürften unter den frühen Ptolemaiern hier Griechentum und Königtum eine Art Zweckgemeinschaft eingegangen sein, indem alle Beteiligten wußten, daß sie eine Minderheit in diesem Lande darstellten und somit Einigkeit demonstrieren mußten, um sich nicht durch innere Zwistigkeiten und Machtkämpfe eine Blöße gegenüber den einheimischen Ägyptern zu geben.16
Diese Politik erinnert zugleich auch an Philipp II., der seinem Sohn griechische Erziehung und Bildung hatte angedeihen lassen, die aus heutiger Sicht 343-340 in der Heranziehung des Aristoteles als Erzieher ihren Glanzpunkt erreicht hatte. So hatte auch die makedonische Königsfamilie schon seit einigen Generationen beansprucht, als Mitglieder der griechischen Welt anerkannt zu werden, und mitsamt ihrem engsten Umkreis Elemente der griechischen Kultur in hohem Maße übernommen. Auch hatte am makedonischen Hofe eine generationenlange Tradition bestanden, Kulturschaffende der griechischen Welt einzuladen, wie z.B. unter Archelaos Timotheos von Milet (Plut. mor. 177b), Choirilos (Athen. 8,345d), Agathon (Ail. var. 2,21 & 13,4) und Euripides (Ail. var. 13,4).17 Philipp II. dürfte außerdem wohl noch eine gewisse Anregung zur Beschäftigung und Übernahme griechischer Kulturgüter während seiner Zeit als Geisel in Theben (Iust. 7,5,1-3) erfahren haben.18 Damit waren in der Jugendzeit der Diadochen griechische Erziehung und Bildung als Ideale des makedonischen Königshofes angesehen worden.19 Indem die Diadochen ihre Höfe in der Anknüpfung an Alexander den Großen dem des makedonischen Königshauses anpaßten, übernahmen sie somit schon griechische Elemente wie z.B. das Symposion.20
Bei dem Anspruch der Zugehörigkeit zur griechischen Kultur hatte es sich zunächst einmal nur um einen der makedonischen Königsfamilie und ihrer direkten Umgebung gehandelt, wie auch wohl nur dort die griechische Erziehung im vollen Umfange erfolgt war.21 Hierin bestand zugleich eine Entsprechung mit der Situation in Alexandreia, wo eine Oberschicht sich als Vertreter des Griechentums ansah, während die große Mehrheit der Bevölkerung nicht Teil der griechischen Kulturwelt war. Dennoch scheinen zur Zeit der Alexanderzüge die griechische Kultur und Sprache auch in den anderen Schichten zumindest elementar Einzug gehalten zu haben, indem die Makedonier insgesamt als ein Teil der griechischen Welt betrachtet wurden.22 Auch bedienten sich in hellenistischer Zeit die Makedonen vor Ort von Anfang an zumindest im schriftlichen und formellen Bereich der griechischen Sprache, indem kein Fall von einem überlieferten Schriftstück in makedonischer Sprache bekannt ist.23
Im speziellen Falle des Ptolemaios I. dürfte wohl das Wirken des Aristoteles am makedonischen Hofe als Prinzenerzieher Alexanders des Großen die Nähe zum Peripatos bewirkt haben, die sich v.a. durch die Heranziehung des Demetrios von Phaleron als königlichem „Bildungsberater“ und des Straton von Lampsakos als Prinzenerzieher zeigt, da beide eindeutig Peripatetiker waren.24 Allerdings könnte allein die Nähe zum früheren eigenen Lehrer die Bevorzugung seiner Schüler und Anhänger veranlaßt haben, da ja die Hauptaufgabe des Aristoteles am makedonischen Hofe nicht im Philosophieunterricht bestanden hatte. Alexander der Große fällt hiergegen als Vorbild und Bindeglied wohl eher aus, da seit der Ermordung des Kallisthenes, seines „Hofhistoriographen“, das Verhältnis zwischen dem Feldherrn und dem Peripatos äußerst gespannt war, indem der Ermordete einerseits der Sohn der Cousine des Aristoteles und andererseits auch Schüler des großen Meisters gewesen war. So lobte auch Theophrast in seiner Schrift Καλλισθένης ἢ περὶ πένθους (Kallisthenes oder Über die Trauer) hinsichtlich des ethischen Aspektes Aristoteles und tadelte den König. Außerdem standen Theophrast und Demetrios von Phaleron später in einem guten Verhältnis zu Kassandros, dem Mörder von Olympias, Rhoxane und Alexander IV., also der Mutter, der Gattin und des Sohnes Alexanders des Großen.25
Anmerkungen:
1 2 Mac 4,13-15: ἦν δ’ οὕτως ἀκμή τις Ἑλληνισμοῦ καὶ πρόσβασις ἀλλοφυλισμοῦ διὰ τὴν τοῦ ἀσεβοῦς καὶ οὐκ ἀρχιερέως Ἰάσωνος ὑπερβάλλουσαν ἀναγνείαν | ὥστε μηκέτι περὶ τὰς τοῦ θυσιαστηρίου λειτουργίας προθύμομους εἶναι τοὺς ἱερεῖς, ἀλλὰ τοῦ μὲν νεὼ καταφρονοῦντες καὶ τῶν θυσιῶν ἀμελοῦντες ἔσπευδον μετέχειν τῆς ἐν παλαίστρῃ παρανόμου χορηγίας μετὰ τὴν τοῦ δίσκου πρόσκλησιν | καὶ τὰς μὲν πατρῴους τιμὰς ἐν οὐδενὶ τιθέμενοι, τὰς δὲ Ἑλληνικὰς δόξας καλλίστας ἡγούμενοι.; s.a. Préaux (1978)b, Bd. I, p. 5; Volkmann (1979), p. 1009; Eder (1998)a, p. 313. Die Bezeichnung des Hellenismus erhielt ihre heutige Bedeutung durch J. G. Droysen, der in den Ἑλληνισταί der Act 6,1 statt griechischsprechenden Juden orientalisierte Griechen erblickte und mit dem Begriff des Hellenismus eine Periode bezeichnete, die seiner Meinung nach durch Alexander eingeleitet worden sei, bis zum Ende der heidnisch-griechischen Periode der römischen Kaiserzeit gereicht und sich durch die Verschmelzung von Griechentum und orientalischen Elementen ausgezeichnet habe (Volkmann (1979), p. 1009; s.a. Préaux (1978)b, Bd. I, pp. 7-9; Samuel (1989), p. 1; Eder (1998)a, p. 313). Als ein wesentliches Merkmal dieser Epoche wurde dabei auch die Verbreitung der griechischen Sprache und Kultur, also des eigentlichen Ἑλληνισμός, angesehen (Green (1990), p. 312). Droysens Konzeption des Hellenismus erklärt sich hierbei v.a. durch den damaligen Zeitgeist, als nämlich Europa sich im Zeitalter des Kolonialismus befand, der u.a. dadurch rechtfertigt wurde, daß den kolonisierten Gebieten der westliche Fortschritt und die westliche Kultur gebracht werde, während zugleich in Europa das Interesse an „exotischen“ Gegenständen und Sitten erheblich anwuchs (Samuel (1989), p. 1).
2 Vössing (1997), p. 641; s.a. Sobotta / Wilson (2000), p. 838.
3 s. Caroli (2007), p. 173.
4 Matthews / Roemer (2003), p. 17; s.a. Schneider (1967/69), Bd. II, p. 963; Hölbl (1994), p. 28.
5 Hölbl (1994), p. 28.
6 Green (1990), p. 172.
7 Green (1990), p. 145: „At home this policy was one of cultural ostentation and self-advertisement, by way of such things as the Museum and Library, even the Pharos.“; s.a. Gelzer (1993), p. 143; Weber (1993), p. 81; Ellis (1994), p. 56; Vössing (1997), p. 641; Bingen (2007), pp. 26-27.
8 Stephens (2003), p. 249.
9 Weber (1993), pp. 8-9.
10 Huß (2001), p. 217; s.a. Gruen (1993), p. 5.
11 Walbank (1984), pp. 68-69; s.a. Koenen (1993), pp. 35-36; Erskine (1995), pp. 42-43.
12 Koenen (1993), pp. 35-36.
13 Bengtson (1987), p. 63.
14 s.a. Inscr. Lindos 2,C110-113 & Inscr. Delos 442B,8 & Inscr. Delos 296B,28-29 & 313a,102-103 & Athen. 5,203a & Paus. 6,3,1 & 10,7,8; s.a. Swinnen (1973), p. 128; Otto (1905-1908), Bd. II, pp. 265-266.
15 s. Caroli (2007), pp. 175-217 passim, insbes. pp. 187-189.
16 Fraser (1972), Bd. I, p. 115.
17 Carney (2003), pp. 50-54 passim; s.a. Weber (1993), pp. 8 & 45-47; Burn (2004), pp. 14 & 28.
18 Bose (2003), p. 24; s.a. Droysen (1877), Bd. I, p. 61; s.a. Geyer (1938), p. 2266.
19 Glock (2000), p. 508.
20 Gippert (1998), p. 302.
21 Gippert (1998), p. 302; s.a. Bengtson (1975), p. 12.
22 Arr. anab. 2,14,4: Μακεδονία καὶ ἡ ἄλλη Ἑλλάς; Kornemann (1926), pp. 339-340.
23 Bevan (1968), p. 83.
24 Glock (2000), p. 508.
25 Huß (2001), pp. 235-236.