Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen III
Einleitung*
Bei seinem weltberühmten Eroberungsfeldzug gegen das Persische Großreich nahm der makedonische König Alexander der Große 3321 auch Ägypten, zu diesem Zeitpunkt eine Satrapie (Provinz) des Persischen Reiches, ein und annektierte es als einen Teil seines eigenen Reiches. Er gründete dort u.a. an der Mittelmeerküste die Stadt Alexandreia, die in den folgenden Jahrhunderten sich zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum erheben sollte, und besuchte das Ammon-Heiligtum in Siwa. Schließlich verließ er im Frühjahr 331 Ägypten, um es niemals wieder im lebenden Zustand betreten.2 Das Großreich Alexanders des Großen sollte jedoch nicht einen allzu langen Fortbestand erleben. Denn der König verstarb schon 323 nach einer kurzen und schweren Erkrankung ohne einen wirklich regierungsfähigen Nachfolger. So entwickelte sich die Todesstunde zu der des großen Aufstieges seiner Generäle, die sich das Alexanderreich, zunächst als formale Statthalter ihrer Ländereien, aufteilten. Allerdings agierten sie von Anfang an in ihren Bereichen wie autonome Herrscher und begannen relativ bald gegeneinander Kriege zu führen. Zugleich wurden auch die beiden formalen Erben Alexanders des Großen im Rahmen dieser Auseinandersetzungen ermordet, während sich die einzelnen Generäle, die seit der Antike auch als Diadochen („Nachfolger“) bezeichnet werden, zu autonomen Königen erklärten, so daß um 306 das Alexanderreich auch formal aufhörte zu existieren. Einer dieser Nachfolger war Ptolemaios, Sohn des Lagos. Er erhielt Ägypten als seine Satrapie, die er sofort zu sichern und auszubauen begann, indem er einerseits recht schnell den von Alexander dem Großen eingesetzten Statthalter, Kleomenes von Naukratis, beseitigte, andererseits vom Anfang bis zum Ende seiner Regierung versuchte seine Besitzungen durch Vorbastionen zu erweitern, die sein Stammland vor Angriffen schützen und zugleich in Ägypten seltene Ressourcen erwirtschaften sollten. So konnte er seine Herrschaft – zunächst als Satrap (Statthalter), ab 306/4 als König – bis zu seinem Tod wahren und gesichert seinem Sohn, Ptolemaios II. Philadelphos, übergeben.3
Die Herrschaft der Ptolemaier sollte sich jedoch die gesamte Geschichte dieser Dynastie hindurch dadurch auszeichnen, daß die Herrscher als makedonische bzw. „griechische“ Könige über ein Reich herrschten, bei dem lediglich einige Außenbesitzungen zum griechischen Kulturbereich gehörten, während das Stammland, auf dem sich ihre Macht v.a. stützte, von einer zahlenmäßigen Übermacht von Ägyptern bewohnt wurde und die Könige sich auf eine makedonisch-griechische Oberschicht stützten, die die zentralen Verwaltungsaufgaben übernahm, den Außenhandel kontrollierte, die kulturell-geistige Oberschicht, aber auch das Grundkontingent an professionellen Soldaten bildete.
Diese Konstellation brachte mit sich, daß die makedonischen Fremdherrscher sich zwar einerseits mit den religiösen und kulturellen Bedürfnissen der beherrschten ägyptischen Mehrheit auseinandersetzen und die Rolle und die Funktionen eines traditionellen Pharao übernehmen mußten. Andererseits waren sie auf ihre makedonisch-griechische Oberschicht angewiesen, die sich nicht von einem „Barbaren“ oder einem an das „Barbarentum“ angepaßten König beherrschen lassen wollte. Dieser Oberschicht gegenüber mußten sich die Ptolemaier, angefangen mit Ptolemaios I., als Vertreter der griechischen Kulturwelt erweisen, die in ihrem Herrschaftsgebiet für die Wahrung der griechischen Erziehung und Bildung, der παιδεία, Sorge trugen. Gleichzeitig waren sie aufgrund der systemrelevanten Funktion der griechisch-makedonischen Oberschicht an einer auch kulturell definierten Aufrechterhaltung dieser über Generationen hinweg interessiert. Eine ausgeprägte Kulturpolitik, insbesondere der Aufbau eines herausragenden Zentrums der griechischen Gelehrsamkeit, das am Ende u.a. auch mit Athen konkurrieren konnte, förderte zugleich aber auch das Ansehen in der griechischen Kulturwelt. In diesem Sinne betrieb schon Ptolemaios I. eine Politik des Ἑλληνισμός (Hellenismós), also der Förderung der griechischen Kultur, die ihren berühmtesten Ausdruck in der Gründung des Museion zu Alexandreia mit der großen Bibliothek der Stadt fand.
Bei der Behandlung dieses Themas sollen nach einem Blick auf Demetrios von Phaleron, der eine wesentliche Rolle im Rahmen der Gründung und Einrichtung des Museion spielte (s. A) Der mutmaßliche geistige Vater des Museion: Demetrios von Phaleron), zunächst Aufbau und Organisation von Museion und Bibliothek betrachtet werden (s. B) Form, Aufbau und Organisation von Museion und Bibliothek). Dem folgen ein Überblick über die kulturelle Bedeutung der beiden Institutionen einschließlich einer kurzen Aussicht über ihre weitere Geschichte (s. C) Die kulturelle Bedeutung von Museion und Bibliothek und ihr weiteres Schicksal) und eine Darstellung des kulturellen und wissenschaftlichen Betriebes unter Ptolemaios I. einschließlich einer skizzenhaften Vorstellung einzelner Vertreter dieser Zeit (s. D) Die Bedeutung und Förderung von Kultur und Wissenschaften unter Ptolemaios I.). In einem weiteren Abschnitt wird das Konzept des Ἑλληνισμός und seine Bedeutung im Programm des Königs dargestellt (s. E) Der Ἑλληνισμός). Abgeschlossen wird dieses Werk schließlich durch eine kurze Zusammenfassung (s. F) Zusammenfassung).
Anmerkungen:
* Dieser Aufsatz basiert auf dem entsprechenden Abschnitt E) II.) Alexandreia als kulturelles Zentrum: Das Museion und das Programm des Ἑλληνισμός aus meiner Dissertation Ptolemaios I. Soter – Herrscher zweier Kulturen von 2007 (Caroli (2007), pp. 293-313) und auf Notizen, die im Rahmen dieser Arbeit entstanden. Das Ziel der Aufsatzreihe Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen besteht in einer Aufbereitung zu diesem Thema passender Abschnitte der Dissertation für ein breiteres Publikum, als dies bei einer Fachpublikation erwartet werden kann.
Die Konzeption der Aufsatzreihe sah von Anfang an neben den bereits publizierten Themen Die Ägypter und die Fremdherrscher unter Alexander dem Großen und Ptolemaios I. (Teil I) und Die ägyptische Konzeption des Königtums und die Herrschaft der ersten Makedonen (Teil II) als zumindest vorläufigen Abschluß auch einen Aufsatz über den in diesem Werk vorliegenden Themenbereich vor.
Ursprünglich sollte dieser Aufsatz in einem 4. Band der Sammelreihe M. Badawi / Ch. A. Caroli (Hrg.): As-Sabil Sammelbände für Kulturpluralismus publiziert werden, der in absehbarer Zeit nicht erscheinen wird.
1 Jahreszahlen in Verbindung mit historischen Daten stellen ohne weitere Angaben Jahreszahlen v. Chr. dar, während Jahreszahlen in Verbindung mit moderner Sekundärliteratur sich als n. Chr. verstehen.
2 s. Caroli (2007), pp. 20-24.
3 s. Caroli (2007), pp. 29-70 & 356-359 passim.