Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen III
D) Die Bedeutung und Förderung von Kultur und Wissenschaften unter Ptolemaios I.
II.) Der Charakter der Studien unter Ptolemaios I. und die einzelnen Vertreter
g) Zenodotos von Ephesos
Als Schüler des Philetas gilt der zwischen kurz vor 330 und 325 geborene Philologe Zenodotos von Ephesos (Suda s.v. Ζηνόδοτος, Ἐφέσιος), der auch u.U. von seinem Lehrer bei Ptolemaios I. zu Hofe eingeführt worden sein dürfte und sich dort zeitweilig als Prinzenerzieher betätigte. Auch wurde er zum Vorstand der Bibliothek ernannt, wobei er dieses Amt wahrscheinlich als erster innehatte und je nach Version der direkte Vorgänger des Apollonios Rhodios war (s. P. Oxy. 1241,2,1-9) bzw. Eratosthenes noch dazwischen amtierte (Suda s.v. Ἀπολλώνιος, Ἀλεξανδρεύς).73
Zenodotos beschäftigte sich v.a. mit der griechischen Dichtung mit Ausnahme der Dramen. Sein Hauptwerk bestand in einer Homer-Edition, einer philologischen Arbeit auf Basis von Textkritik. Sie wurde von seinen Nachfolgern zwar nicht immer anerkannt, jedoch erhielt sie sich über die Vermittlung von Aristarchos, Didymos und Aristonikos74 noch schemenhaft in den Homer-Scholien (A und bT) und im Kommentar des Eustathios. Seine Vorgehensweise bestand dabei v.a. in der Markierung von Versen, die er für unecht hielt, mutmaßlich ohne einen expliziten Kommentar hierzu zu verfassen. Der Überlieferung nach strich er auf diese Weise 490 Verse der Ilias und 44 der Odyssee. Dabei handelte es sich v.a. um Verse, bei denen u.U. die mit ihnen verbundenen kontextuellen Assoziationen anderer Stellen an dieser nicht paßten oder die eindeutig überflüssig zu sein schienen, und faßte mehrere zu einem zusammen, wenn sie sonst scheinbar Unpassendes enthielten (Schol. Ven. A in Il. 3,423-426). Auch nahm er oder vielleicht in der jetzigen Form auch erst Aristarchos die Einteilung der Epen in jeweils 24 Bücher vor oder war an diesem Prozeß beteiligt. Allerdings kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob die Arbeit an der Homer-Edition unter Ptolemaios I. oder erst unter seinem Nachfolger oder unter beiden erfolgte und wann sie fertiggestellt wurde.75
Im Rahmen seiner Homer-Arbeit verfaßte Zenodotos die Γλῶσσαι, ein Lexikon, in dem in alphabetischer Anordnung epische und lyrische Glossen erläutert wurden, und u.U. auch Περὶ ἡμερῶν Ἰλιάδος, das chronologische Berechnungen zu den Ereignissen der Ilias enthielt (IG IV,12,1290). Hinzu kommen eine Edition der Werke Hesiods, Pindars und u.U. Anakreons, außerdem werden ihm teilweise die unter dem Namen des Zenodotos von Mallos überlieferten Ἐθνικαὶ λέξεις zugeschrieben, die jedoch auch eine Unterabteilung der Γλῶσσαι dargestellt haben könnten. Für eigene dichterische Tätigkeiten existieren hingegen keine eindeutigen Beweise.76
Anmerkungen:
73 Fraser (1972), Bd. I, pp. 330-332 & 450; s.a. Gärtner (1979)b, pp. 1494-1495; Baumbach (2002), p. 738.
74 s. Schol. Ven. A, Anm. zum Ende jeden Buches der Ilias außer Buch 17 und 24.
75 Fraser (1972), Bd. I, pp. 450-451 & 463 & 472-473 c. Bd. II, pp. 650-651 n. 23; s.a. Parsons (1967), pp. 220-221 & 262-264; Baumbach (2002), pp. 738-739.
76 Baumbach (2002), p. 738; s.a. Fraser (1972), Bd. II, p. 652 n. 33; Gärtner (1979)b, p. 1495.