Dr. Christian A. Caroli – د. كْرِسْتْيَان أ. كَارُلِي

Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen II

Caroli: Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen II (Coverbild)

Christian A. Caroli:

Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen II – Die ägyptische Konzeption des Königtums und die Herrschaft der ersten Makedonen
 

Konstanz 2013 / 2019
 

Umfang: VIII + 74 Seiten • Format: 21 x 14,8 cm (A5)

 

 

A) Die ägyptische Konzeption des Königtums

II.) Das auf der Maat basierende Königtum

b) Die Legitimation

Aufgrund seiner wesentlichen Rolle in der Welterhaltung bedurfte der Pharao als gesellschaftliche Institution keiner expliziten Legitimation, da diese ein unverzichtbarer Teil der unveränderlichen Weltordnung war. Ja es konnte ohne sie „keine Geschichte im Sinne eines Geschehens“44 geben. Dementsprechend wurden die Zwischenzeiten, in denen es keinen zentralen Herrscher gab, immer als Phasen des Chaos und der Wirren empfunden, die im ägyptischen Empfinden damit endeten, daß ein starker Herrscher den Thron bestieg, der das Reich wieder unter seiner Herrschaft vereinigte und die Ordnung durchsetzte.45 Als Bindeglied zwischen Göttern und Menschen und aufgrund der göttlichen Aufgabe und der zentralen Rolle innerhalb der göttlichen Weltordnung wurde die Institution des Pharao selber zum Objekt göttlicher Verehrung. So war diese Position nach der ägyptischen Geschichtsvorstellung ursprünglich von wirklichen Göttern eingenommen worden, wie auch ägyptische Königslisten wie z.B. der Palermo-Stein oder der Turiner Königspapyrus oft Dynastien von göttlichen Herrschern vor die historischen Könige setzen.46 Auch wurde der amtierende König mit Horus in Verbindung gesetzt, was sich auch im Horus-Namen ausdrückte, der den König als „Horus N.N.“ bezeichnete und das älteste überlieferte Element der fünfteiligen Königstitulatur darstellt.47 Die Person des Königs als solche erhielt jedoch zu Lebzeiten noch keine göttlichen Ehren und keinen göttlichen Status. Denn der König bekam nur einen göttlichen Status, weil sich in ihm in seiner Funktion als König das Göttliche offenbarte und er die göttliche Macht u.a. rituell repräsentierte, während er als Person selber kein Gott war. Diese Idee basierte wiederum auf einem wesentlichen Merkmal der ägyptischen Theologie, daß die Götter sich den Menschen in bestimmten Erscheinungsformen offenbarten, die sich jedoch von ihrer eigentlichen, wahren Natur unterschieden, die für die Menschen allerdings nicht ergründbar sei.48 In diesem Sinne kann man den König am besten mit einem Kultbild oder einem heiligen Tier vergleichen, das den Gott repräsentierte, ihn abbildete und als seine zeitweilige Wohnstätte dienen konnte, aber niemals mit dem Gott identisch war.49 So handelte er z.B. in den Beischriften zu Opferszenen der Spätzeit grundsätzlich nicht als Horus, sondern an der Stelle von Horus, indem er wie Horus war (mj), ohne Horus selber zu sein (m).50

Natürlich brachte die zentrale Rolle der Institution des Pharao mit sich, daß jeder Amtsinhaber auch einer gewissen Legitimation bedurfte. Er mußte von den Göttern als ihr legitimer Repräsentant angesehen werden.51 Hierfür gab es in der Regel vier mögliche Legitimationsschemata, von denen mehrere zugleich benutzt werden konnten. Ein bedeutender Faktor war zum ersten die königliche Abstammung, indem im Idealfalle die Herrschaft von Vater auf Sohn überging. Auch die Designation durch den Vorgänger unterstützte den Anspruch auf die Königswürde. Hinzu kam noch die göttliche Erwählung z.B. in Form der rituellen Anerkennung als Gottessohn beim Geburtsritual oder der Verheißung der Königswürde im Traum oder durch ein Orakel.52 Diese Form eröffnete v.a. Usurpatoren oder Fremdherrschern die Möglichkeit, die Kontinuität zu den Vorgängern zu betonen. Besonders beliebt war dabei die Behauptung, daß die Gottheit, zumeist Amun, griechisch Ammon, der schwangeren Frau erschienen sei und behauptet habe, der Vater des Kindes zu sein, das der künftige König werden solle. Schließlich bestand auch die Möglichkeit, daß der Herrscher aufgrund eigener Leistungen die praktische Herrschergewalt über das Land erlangt hatte (P. Ermitage 1116B,57-62), wobei aber in diesem Falle die göttliche Erwählung von äußerst großer Bedeutung war.53 Des weiteren mußte jeder Herrscher, d.h. auch jeder Fremdherrscher, um als legitimer Pharao anerkannt zu werden, sich bestimmten geheiligten Inthronisations- und Krönungsriten unterziehen, um den Status des göttlichen Repräsentanten zu erlangen.54 Schließlich konnte ein Pharao aufgrund seiner zentralen Rolle in der Weltordnung nur so lange als Pharao akzeptiert werden, wie er seinen diesbezüglichen Verpflichtungen nachkam und sich der Maat verpflichtete.55

Allerdings brachte die immense Bedeutung der Rolle des Pharao auch eine Art horror vacui mit sich, so daß die ägyptische Bevölkerung bei einem Fehlen einer Alternative es in der Regel bevorzugte, den aktuellen Machthaber als Pharao anzuerkennen, solange er in irgendeiner Weise auch den Verpflichtungen eines Pharao nachkam. Daher waren die Priester auch bereit, diesem de-facto-Pharao eine vollständige Königstitulatur ohne eine formale Krönung zu verleihen, um ihn somit in die kultische Position des Pharao als Garanten der Maat zu versetzen.56 Hinzu kam in diesem Falle aber noch, daß die Priester eines Pharao bedurften, da sie sich durch seine Person und Institution legitimierten, indem sie ihre kultischen Handlungen nur in Stellvertretung des Pharao vollzogen. Aufgrund des Fokus auf die funktionale Rolle des Pharao als Institution bestand letztendlich auch kein schwerwiegender Vorbehalt gegen einen Nichtägypter auf dem Thron. Er durfte nur in seinem Verhalten und Auftreten nicht den Anforderungen an einen ägyptischen Pharao widersprechen.57 Vor allem mußte er den religiösen und weltlichen Pflichten eines Pharao im Sinne der Maat nachkommen. So ließ sich z.B. auch Kambyses nach der persischen Eroberung Ägyptens zum Pharao erheben, versah sich mit einer ägyptischen fünfteiligen Königstitulatur und erklärte sich zugleich zur Übernahme der traditionellen pharaonischen Pflichten bereit.58

Die Konzeptionen des ägyptischen Königtums wurden gerade von den Königen der allerletzten Periode der ägyptischen Selbständigkeit betont und vorgeführt. So lag z.B. auch in der königlichen Ikonographie dieser Zeit ein Schwerpunkt auf der Blauen Krone, die seit der Zweiten Zwischenzeit ein Symbol für den vom König erhobenen Anspruch auf Legitimität bedeutete. Diese wurde zugleich anscheinend niemals von den nubischen Fremdherrschern getragen, bzw. ließen sich diese niemals mit dieser darstellen, so daß sie ihre Symbolik für die ägyptische Herrschaft durch Ägypter wahren konnte. Zugleich näherten sich die Könige der Spätzeit in ihren Selbstrepräsentationen und Inschriften dem Stil des Alten Reiches an, das als eine äußerst ruhmvolle Periode Ägyptens und des ägyptischen Königtums angesehen wurde.59 Außerdem achteten die Könige darauf, daß es in ihrer Ikonographie und in ihrer Selbstrepräsentation möglichst nicht zu Brüchen mit denen ihrer Vorgänger kam.60 Im kultischen Bereich zeichneten sich die Könige der Spätzeit, sofern überhaupt ausreichende Ressourcen vorhanden waren, durch Tempelerrichtungen, Tempelrestaurationen und Stiftungen für den Kultbetrieb aus.61

Schließlich wurde in dieser Periode auch die Allmacht und Unfehlbarkeit des Pharao immer mehr und v.a. nicht mehr nur vereinzelt angezweifelt. So wurde der Pharao in seinem Handeln immer abhängiger vom Willen der Götter, indem zwischen seinem und dem der Götter Differenzen entstehen konnten, die sich wiederum im Entzug göttlicher Unterstützung und damit im Mißerfolg des Pharao ausdrückten. Umgekehrt bedeutete dies, daß sich in die Konzeption des Königtums ein Leistungsprinzip hineinmischte. Denn der König mußte nun seine Legitimation und göttliche Unterstützung als Pharao durch Erfolge beweisen, während Mißerfolge eben als Beleg für das Gegenteil galten.62 Dabei spielten aber auch Faktoren eine Rolle, die nach heutiger Ansicht eindeutig nicht im Machtbereich des Pharao standen, wie z.B. der Ausfall der lebenswichtigen Nilflut. Nach ägyptischer Ansicht konnten beide Bereiche dadurch miteinander verbunden werden, daß die Götter mittels des Ausfalls der Nilflut ihren Gefallen oder ihr Mißfallen am Zustand des Landes und der Regierungsweise des Herrschers ausdrückten.63

 

 

Anmerkungen:

44 Schneider (1994), p. 9.

45 O’Connor / Silverman (1995), pp. XVIII-XIX; s.a. Hornung (1971), p. 52; Barta (1980)e, p. 960; Brunner (1983), pp. 65-66; Schneider (1994), pp. 9 & 33; Clauss (2012), pp. 38-39.

46 Tait (2003), p. 7; s.a. Barta (1980)c, pp. 487-488; Brunner (1983), pp. 64-65; Koenen (1993), p. 58; Stephens (2003), p. 52; s. dgg. Otto (1964-66)b, p. 171, der darin Dynastien von Königen über Einzelreiche sehen will.

47 von Beckerath (1980)b, p. 540; s.a. Barta (1980)c, p. 487.

48 Assmann (1977), pp. 760-761; s.a. Blöbaum (2006), pp. 197-198.

49 Derchain-Urtel (1975), pp. 30-32 & 39.

50 Derchain-Urtel (1975), pp. 25-30.

51 Hölbl (1994), p. 69.

52 Urk. III,61,11-62,12 & III,94,15-95,13 & IV,91,12-14 & IV,157,11-161,12 & IV,1542,10-1543,15 & IV,2116,9-2119,7.

53 Kahl (1998), pp. 495-496; s.a. Barta (1980)a, pp. 476-477; Schneider (1994), p. 26; Stephens (2003), p. 54.

54 Hölbl (1994), p. 69.

55 Hoffmann (2000), p. 157; s.a. Barta (1980)c, p. 486.

56 Burstein (1991), p. 141; s.a. Assmann (1990), p. 219; Hölbl (1994), p. 1; Scholz (1994), p. 228.

57 Koenen (1993), p. 39; s.a. Bouché-Leclercq (1903-1907), Bd. III, pp. 16-17; Assmann (1996), p. 96.

58 s. Udjahorresne (St. Vatican 158),11-15: „The Great Chief of all foreign lands, Cambyses came to Egypt, and the foreign peoples of every foreign land were with him. When he had conquered this land in its entirety, they established themselves in it, and he was Great Ruler of Egypt and Great Chief of all foreign lands. His majesty assigned to me the office of chief physician. He made me live at his side as companion and administrator of the palace. I composed his titulary, to wit his name of King of Upper and Lower Egypt, Mesutire. I let his majesty know the greatness of Sais, that is the seat of Neith-the-Great, the mother who bore Re and inaugurated birth when birth had not yet been; and the nature of the greatness of the temple of Neith, that it is heaven in its every aspect; and the nature of the greatness of the castles of Neith, and of all the gods and goddesses who are there; and the nature of the greatness of the Palace, that it is the seat of the Sovereign, the Lord of Heaven; and the nature of the greatness of the Resenet and Mehenet sanctuaries; and of the House of Re and the House of Atum, the mystery of all the gods.“; und 24-27: „The King of Upper and Lower Egypt, Cambyses came to Sais. His majesty went in person to the temple of Neith. He made a great prostration before her majesty, as every king has done. He made a great offering of every good thing to Neith-the-Great, the mother of god, and to the great gods who are in Sais, as every beneficent king has done. His majesty did this because I had let his majesty know the greatness of her majesty Neith, that she is the mother of Re himself.“ (Übersetzung: Lichtheim (1973-1980), Bd. III, p. 158); s.a. Hölbl (1994), pp. 1-3 & 69; Kienitz (1953), p. 57; Barta (1980)c, p. 486; Huß (2001), pp. 33-34.

59 Lloyd (1983), p. 289; s.a. Lloyd (1994), p. 350; Stanwick (2002), p. 35.

60 Stephens (2003), p. 51.

61 Lloyd (1983), pp. 293-294.

62 s. Dem. Chron. 4,1-12: „Der erste (Herrscher) – Das was er meint ist: der erste, der nach den Medern (scil. Persern) kam. Als er befohlen hatte, das Gesetz nicht zu <tun> – man hat gesehen, was sie ihm taten: Sie ließen seinen Sohn nicht auf ihn folgen. | Überdies war es so, daß sie veranlaßten, daß er selbst seinen Thron schon zu Lebzeiten aufgeben mußte. | Der zweite (Herrscher) – zu der Scheide – D.h.: Der zweite Herrscher, der nach den Medern (scil. Persern) war, nämlich Pharao Nephorites (I.). Du sahest, was ihm geschah: Sie ließen | seinen Sohn auf ihn folgen. Zu der Scheide… – Zu dem, der am (heutigen) Tage Herrscher ist, sagt er das, nämlich zu Nektanebos I. Er ist der, welcher die Habe Ägyptens und aller Tempel hingegeben hat, | um Silber(linge) zu erzeugen. Es ist als ob (er) sagte: ‚der handelte nicht als Mann zu seiner Zeit’, wenn er zu Nektanebos I. den (Schimpf)namen Scheide sagt, welcher ein (Schimpf)name für eine Frau ist. | Der dritte (Herrscher) – sie gaben ihm – D.h.: Der dritte Herrscher, der <nach> (ẖn „unter“, statt m-s3) den Medern (scil. Persern) war. Sie gaben ihm… – Nachdem er das Gesetz verlassen hatte, gaben sie ihm, daß (er) einen Nachfolger bekam, als er (selbst noch) lebte. | Der vierte (Herrscher) – er ist nicht gewesen – D.h.: Der vierte Herrscher, der nach den Medern (scil. Persern) war, nämlich Psammuthis. Er ist nicht gewesen… – D.h.: Er ist nicht auf dem Gottesweg gewesen | Sie ließen ihn nicht lange Herrscher sein. | Der fünfte (Herrscher) – er hat vollendet – D.h.: Der fünfte Herrscher, der nach den Medern (scil. Persern) kam, nämlich Hakoris, der das Erscheinen wiederholt, dem sie gewährt haben, daß er seine Herrschaftszeit vollendet, | nachdem er nämlich wohltätig (mnḫ) den Tempeln gegenüber war. Sie hatten ihn gestürzt, weil er das Gesetz verlassen und sich (somit) nicht mehr um seine Brüder gekümmert hatte. | Der sechste (Herrscher) – er ist nicht gewesen – D.h.: Der sechste Herrscher, der nach den Medern (scil. Persern) war, nämlich Nephorites (II.). Er ist nicht gewesen – D.h.: Sie haben nicht befohlen, ihn entstehen zu lassen. | Es war so, daß man das Gesetz unter seinem Vater verlassen hatte. So ließen sie nach ihm Unheil seinen Sohn treffen.“ (Übersetzung: Felber (2002), pp. 81-83; s.a. Spiegelberg (1914), pp. 17-18); s.a. Urk. IV,390; s.a. Lloyd (1994), p. 350; Africa (1963), pp. 254-255; Kablony (1975), pp. 1056-1057; Lloyd (1983), pp. 291 & 299; Kuhlmann (1986), p. 524.

63 s. Ombos I,98: „Er sättigt jedermann, ohne daß es ein Notjahr gibt; / jeder Mund ist versehen mit Ma’at.“ (Übersetzung: Assmann (1990), p. 227); s.a. Thompson (1988), p. 7; Barta (1980)c, p. 492; O’Connor / Silverman (1995), p. XX.

 

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