Dr. Christian A. Caroli – د. كْرِسْتْيَان أ. كَارُلِي

Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen I

As-Sabil-Sammelbände für Kulturpluralismus, Band 2: Das Aufeinandertreffen von Kulturen (Coverbild)

Christian A. Caroli:

Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen I:
Die Ägypter und die Fremdherrscher unter Alexander dem Großen und Ptolemaios I.

 

publiziert in:

Mohamed BadawiChristian A. Caroli (Hrg.):

As-Sabil-Sammelbände für Kulturpluralismus;

Band 2: Das Aufeinandertreffen von Kulturen,

S. 147-175.
 

Konstanz 2009 (badawi - artes afro arabica)
 

Umfang: 230 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-26-7

Preis (bis 10/2015): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015): EUR 14,95 (inkl. 7% MwSt.)

 

1. Inschriften (mutmaßlich) zeitgenössischer Ägypter autobiographischen Charakters

1.10. Zusammenfassung

Zunächst einmal spielt bei allen diesen Inschriften das religiöse Moment eine besondere Rolle und dabei v.a. wiederum die persönlichen Leistungen für den Kult der jeweiligen Gottheit. So habe die jeweilige Person gemäß eigenen Angaben keine Mühen und Kosten gescheut, wenn es um die Aufrechterhaltung bzw. Erneuerung von Kulthandlungen und Kultstätten ging. Zugleich wird in Verbindung mit diesen Taten eine Erwartungshaltung dahingehend aufgebaut, daß die betreffende Person im Dies- und Jenseits eine entsprechende Belohnung der Gottheit erfahren werde, so daß hier implizit die Maat und ihr Prinzip vorausgesetzt werden. So werden in diesem Sinne Bitten um ein Opfer für den Toten durch den Vorbeikommenden immer damit begründet, daß der zu Ehrende immer ein gottgefälliges und anständiges Leben geführt und immer seine Pflichten den Göttern, dem König und den Mitmenschen gegenüber erfüllt habe.

Dabei weisen die Inschriften eine starke Tendenz zum Henotheismus auf, indem jeweils „ihr“ Gott die oberste aller Gottheiten ist, aus dem alles Seiende entstanden ist und der die Welt regiert, während die anderen Gottheiten nur noch als weitere Erscheinungsformen von geringerer Bedeutung auftreten. Die jeweilige Person steht zudem mit ihrem Gott in einem Verhältnis der persönlichen Verbundenheit, indem z.B. der Gott sich persönlich um das Schicksal und das Glück des einzelnen Gläubigen kümmert. Auch der gerechte Ausgleich der Taten jedes einzelnen im Dies- und Jenseits erfolgt durch diese persönliche Gottheit, wobei das Glück ganz in den klassischen Werten wie einem langen und glücklichen Leben in Gesundheit, der Nachfolge von eigenen Söhnen in Amt und Würden, einer ordentlichen Bestattung und Grabstätte und einem guten Andenken der Nachwelt besteht.97 Allerdings spielt in diesen Inschriften nicht mehr allein die rechte Lebensführung an sich, sondern v.a. die Gnade des Gottes bzw. der Götter die herausragende Rolle bei der Erlangung von Glück und Erfolg im Leben.98

In der Regel handelt es sich hierbei um die jeweilige Lokalgottheit, der anscheinend besondere Wirksamkeit zugetraut wurde und die v.a. nicht von den theologischen Spekulationen im Sinne einer überlokalen Reichstheologie abhängig war, sondern seit jeher in dieser Region wirkte.99 So rühmten sich die meisten dieser Personen in ihren Autobiographien für Taten innerhalb ihres lokalen Bereiches, d.h. meist innerhalb ihres Gaus, so daß hier insgesamt eine starke lokale Verbundenheit zum Vorschein kommt.100 Jedoch tritt diese Gottheit niemals exklusiv auf, sondern die Existenz der anderen Götter im klassischen Sinne wird immer noch vollends anerkannt, indem die jeweilige Obergottheit lediglich zur erstklassigen Erscheinungsform des höchsten Göttlichen deklariert wird.

Die äußeren Umstände kommen in diesen Inschriften in verschiedenem Maße zum Vorschein oder auch gar nicht. In vielen dieser Autobiographien wird die Zeit des Chaos in keiner Weise erwähnt, sondern sie folgen schlichtweg den klassischen Formen der idealen Biographie. Bei der Mehrheit fallen im Rahmen der Schilderung der Leistungen des einzelnen für ihre Gottheit leichte Andeutungen auf eine Zeit des Chaos und der Unordnung, die aber nicht aus sich selber gedeutet werden können, sondern bei denen nur gemutmaßt werden kann, daß hierbei die Wirren der Perserherrschaft gemeint sind. Seltener wird in diesem Kontext dagegen offen angeführt, daß es sich um eine Zeit des Chaos handelte, in der es keinen regulären Herrscher in Ägypten gab, wobei auch hier die Perser in der Regel nicht genannt werden. Aber es kommt auch vor, daß die Perserherrschaft und der Alexanderzug als ein Schicksalsschlag im Rahmen des eigenen Lebenslaufes angeführt werden, indem die erste Verschleppung und der zweite die Rückkehr nach Ägypten bedeuteten, wobei dann der Gottheit für die Unterstützung in der Fremde und bei der Rückkehr gedankt wird. Auffälligerweise werden in diesen Inschriften niemals Königsnamen angeführt, zuweilen wird sogar explizit ausgesprochen, daß es keinen regulären Herrscher im Lande gab, und der König der früheren Zeit nur ohne Namen erwähnt. Zugleich behaupten viele dieser Inschriften, daß die Kulte und Kultbauten sich in einem schlechten Zustand befanden bzw. von außen bedroht waren und deswegen geschützt bzw. verborgen gehalten werden mußten. Auch erhalten die geschilderten Taten oftmals das Gepräge von Taten eines Lokalfürsten, dem keine starke Zentralgewalt gegenübersteht, sondern der innerhalb seines Gebietes nahezu wie ein König walten kann.101 Trotzdem nimmt auch das Lob des Königs für die vollbrachten Taten des öfteren eine bedeutende Rolle in der Darstellung ein, wie es sich bei einem Bericht eines Beamten von Rang gehört, wobei hier eine gewisse Topik im Rahmen der Weltordnung im Sinne der Maat dahinterstehen könnte. Jedoch entsteht in vielen Autobiographien der Eindruck, daß noch in der eigenen Amtszeit eine Zeit des Aufbruchs nach der des Chaos und der Verwahrlosung anbrach.

Ein gemeinsames Merkmal vieler dieser Biographien besteht darin, daß zwar die betreffenden Personen sich über die Zeitumstände und das Chaos beklagen, aber jedoch alle in der Lage waren, sich mit den verschiedenen Herrschern, nämlich den letzten ägyptischen Königen, den persischen Fremdherrschern und schließlich den makedonischen Eroberern zu arrangieren und Bestandteil der lokalen Eliten zu bleiben.102 Allerdings kann hier keine Statistik darüber erstellt werden, um welche Größenordnung es sich hierbei handelte, da ja eventuelle Gegenbeispiele in Bedeutungslosigkeit versanken und damit wohl auch nicht mehr in der Lage waren, sich ein dementsprechendes Denkmal errichten zu lassen.

 

 

Anmerkungen:

97 Otto (1954), pp. 20-31.

98 Lichtheim (1973-1980), Bd. III, p. 5.

99 Otto (1954), pp. 32-33.

100 Otto (1954), pp. 88-89.

101 s. Otto (1954), pp. 92-93.

102 s.a. Kienitz (1953), p. 111; Bengtson (1974), p. 299.

 

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