Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen I
Christian A. Caroli:
Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen I:
Die Ägypter und die Fremdherrscher unter Alexander dem Großen und Ptolemaios I.
publiziert in:
Mohamed Badawi & Christian A. Caroli (Hrg.):
As-Sabil-Sammelbände für Kulturpluralismus;
Band 2: Das Aufeinandertreffen von Kulturen,
S. 147-175.
Konstanz 2009 (badawi - artes afro arabica)
Umfang: 230 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-26-7
Preis (bis 10/2015): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015): EUR 14,95 (inkl. 7% MwSt.)
Einleitung*
In seinem weltberühmten Eroberungsfeldzug gegen das Persische Großreich nahm der makedonische König Alexander der Große 3321 auch Ägypten, zu diesem Zeitpunkt eine Satrapie (Provinz) des Persischen Reiches, ein und annektierte es als einen Teil seines eigenen Reiches. Er gründete dort u.a. an der Mittelmeerküste die Stadt Alexandreia, die in den folgenden Jahrhunderten sich zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum erheben sollte, und besuchte das Ammon-Heiligtum in Siwa. Schließlich verließ er im Frühjahr 331 Ägypten, um es niemals wieder im lebenden Zustand betreten.2 Das Großreich Alexanders des Großen sollte jedoch nicht einen allzu langen Fortbestand erleben. Denn der König verstarb schon 323 nach einer kurzen und schweren Erkrankung ohne einen wirklich regierungsfähigen Nachfolger. So entwickelte sich die Todesstunde zu der des großen Aufstieges seiner Generäle, die sich das Alexanderreich, zunächst als formale Statthalter ihrer Ländereien, aufteilten. Allerdings agierten sie von Anfang an in ihren Bereichen wie autonome Herrscher und begannen relativ bald gegeneinander Kriege zu führen. So löste sich das Reich auch allmählich formal auf. Zugleich wurden auch die beiden formalen Erben Alexanders des Großen im Rahmen dieser Auseinandersetzungen ermordet, während sich die einzelnen Generäle, die seit der Antike auch als Diadochen („Nachfolger“) bezeichnet werden, zu autonomen Königen erklärten, so daß um 306 das Alexanderreich auch formal aufhörte zu existieren. Einer dieser Nachfolger war Ptolemaios, Sohn des Lagos. Er erhielt Ägypten als seine Satrapie, die er sofort zu sichern und auszubauen begann, indem er einerseits recht schnell den von Alexander dem Großen eingesetzten Statthalter, Kleomenes von Naukratis, beseitigte, andererseits vom Anfang bis zum Ende seiner Regierung versuchte seine Besitzungen durch Vorbastionen zu erweitern, die sein Stammland vor Angriffen schützen und zugleich in Ägypten seltene Ressourcen erwirtschaften sollten. So konnte er seine Herrschaft zunächst als Satrap, ab 306/4 als König bis zu seinem Tod wahren und gesichert seinem Sohn, Ptolemaios II. Philadelphos, übergeben.3
Die Herrschaft der Ptolemaier sollte sich jedoch die gesamte Geschichte dieser Dynastie hindurch dadurch auszeichnen, daß die Herrscher als makedonische bzw. „griechische“ Könige über ein Reich herrschten, bei dem lediglich einige Außenbesitzungen zum griechischen Kulturbereich gehörten, während das Stammland, auf dem sich ihre Macht v.a. stützte, von einer zahlenmäßigen Übermacht von Ägyptern bewohnt wurde, während sich die Könige auf eine makedonisch-griechische Oberschicht stützten, die die zentralen Verwaltungsaufgaben übernahm, den Außenhandel kontrollierte, die kulturell-geistige Oberschicht, aber auch das Grundkontingent an professionellen Soldaten bildete.
Jedoch mußte für einen Ägypter aufgrund der ägyptischen Konzeption der Maat als ewige und unveränderliche Ordnung des Kosmos jeder Ausländer, der nicht nach ihren Sitten und ihrer Ordnung lebte, als ein Repräsentant der Isfet, des Chaos, erscheinen, der im Sinne der Maat bekämpft werden mußte, da er sie und damit den geordneten Kosmos bedrohte. Die neuen makedonischen Herren konnten zwar versuchen, die Rolle eines traditionellen Pharao und seine Pflichten v.a. im kultischen Bereich zu übernehmen, aber dennoch blieben sie Makedonen, die nicht bereit waren, sich vollkommen an ihre Untertanen, deren Land sie ja erst erobert hatten, zu assimilieren, zumal da sie auf ihre makedonisch-griechische Oberschicht angewiesen waren, die sich nicht von einem „Barbaren“ oder einem an das „Barbarentum“ angepaßten König beherrschen lassen wollte. Trotzdem konnte ein Ägypter wenig an der Tatsache ändern, daß sein Land infolge der Eroberung durch Alexander den Großen von Makedonen beherrscht wurde, sondern er mußte sich mit dieser neuen Situation in irgendeiner Weise arrangieren, wenn er sein Leben in Ruhe und Frieden fortführen wollte.
Dies bedeutete allerdings nicht, daß er mit den neuen Herrschern zufrieden sein mußte, sondern er konnte auch seine Ressentiments gegen die Fremden weiterhin pflegen. Hierzu gehörte natürlich auch, wie in allen historischen Epochen, das Verfassen von anonymen Flugblättern, auch unter Anpassung bestehender Tendenzschriften an die neue Situation. In diesem Bereich fallen Datierungen sehr schwer, wie auch aus der Zeit von Ptolemaios I. wenige konkrete Hinweise erhalten sind.4 Weniger auffällig waren dagegen gewisse Anspielungen in Texten anderer Gattungen. Diese müssen dabei natürlich nicht unbedingt feindlich gegenüber dem neuen Herrscher eingestellt sein, sondern hier können alle Nuancen zwischen Haß und vollkommener Zustimmung, verbunden mit bereitwilliger Kooperation mit den neuen Herren, vorkommen. Zugleich können diese Texte, solange die Anspielungen nicht zu offen sind, mit dem Namen des Verfassers versehen sein, wobei allerdings die Hinweise dann oftmals einer gewissen Interpretation bedürfen. Die Hauptgattung besteht hierbei in den mit autobiographischen Texten versehenen Denkmälern von Vertretern der lokalen Oberschichten, die einen gewissen Einblick geben. (s. 1. Inschriften (mutmaßlich) zeitgenössischer Ägypter autobiographischen Charakters). Schließlich gibt es noch einen dritten Typ, nämlich den Ägypter, der es schaffte, beim König die Funktion eines Fachberaters für ägyptische Angelegenheiten zu übernehmen, in dieser Epoche Manethon (s. 2. Manethon).
Anmerkungen:
* Dieser Aufsatz basiert im wesentlichen auf dem entsprechenden Abschnitt C) III.) Exkurs: Die Ägypter und die makedonische Herrschaft aus meiner Dissertation Ptolemaios I. Soter – Herrscher zweier Kulturen von 2007 (Caroli (2007), pp. 144-170). Das Ziel der Aufsatzreihe Das Aufeinandertreffen zweier Kulturen besteht in einer Aufbereitung zu diesem Thema passender Abschnitte der Dissertation für ein breiteres Publikum, als dies bei einer Fachpublikation erwartet werden kann.
1 Jahreszahlen in Verbindung mit historischen Daten stellen ohne weitere Angaben selbstverständlich Jahreszahlen v. Chr. dar, während Jahreszahlen in Verbindung mit moderner Sekundärliteratur sich als n. Chr. verstehen.
2 s. Caroli (2007), pp. 20-24.
3 s. Caroli (2007), pp. 29-70 & 356-359 passim.
4 s. Caroli (2007), pp. 145-148.