Auf dem Weg zum Rubikon
Christian A. Caroli:
Auf dem Weg zum Rubikon – Die Auseinandersetzungen zwischen Caesar und seinen politischen Gegnern 52-49 v. Chr.
Konstanz 2008 (badawi - artes afro arabica)
Umfang: X + 113 Seiten • Format: 24 x 17 cm • ISBN 13: 978-3-938828-25-0
Preis (bis 10/2015): EUR 29,95 (inkl. 7% MwSt.) • Preis (ab 11/2015): EUR 14,95 (inkl. 7% MwSt.)
B) Die Grundlagen der politischen Auseinandersetzungen im Vorfelde des Ausbruches des Bürgerkrieges (Die „Rechtsfrage“)
I.) Das Ende der Statthalterschaft Caesars
c) Die lex Pompeia Licinia de provincia C. Iulii Caesaris
2.) Die gängige Alternative: Der 01.03.50 als Endtermin
β) Die problematischen Stellen in Ciceros Briefwechseln und die Schilderung der Belagerung von Uxellodonum bei Hirtius
In seinem Brief an Atticus vom 19.01.49 schrieb Cicero, daß Caesar sein Heer nullo consilio publico halte (Cic. Att. 7,11,1), was darauf hinzudeuten scheint, daß Caesars Statthalterschaft zu diesem Termin schon längst abgelaufen war, so daß dann z.B. der 01.03.49 als Endtermin nicht mehr in Frage kommt.106 Jedoch zeichnet sich dieser Brief durch seine Fülle an scharfer Polemik gegen Caesar, der als Hannibal, Schreckgespenst und Übeltäter dargestellt wird,107 aus. Außerdem ist consilio publico ein sehr vager Begriff, so daß dieser Ausdruck sich auch auf das senatus consultum ultimum vom 07.01.49 beziehen kann, in dessen Windschatten dieser Brief verfaßt wurde. Elton argumentiert auch, daß bei der Mission des Roscius und des L. Caesar (Caes. civ. 1,10,1-11,3) die Forderung des Senats an Caesar, nach Gallien zurückzukehren und das Heer zu entlassen, darauf hindeute, daß Caesars Statthalterschaft noch nicht abgelaufen war.108 Dazu muß jedoch angemerkt werden, daß zu diesem Zeitpunkt der Bürgerkrieg schon ausgebrochen war und Caesar sich innerhalb Italiens auf dem Vormarsch befand, so daß es dem Senat zuallererst darum ging, Caesar wieder auf seine Ausgangsposition zurückzudrängen und ihm durch die Auflösung seines Heeres die Basis zu einem erneuten Kriegsausbruch zu entziehen, weswegen auch die beiden Forderungen zusammen mit der Aufforderung, Ariminum zu verlassen, aufgeführt werden.109 Daher ist es nicht verwunderlich, wenn man ihm nach dem Prinzip des kleinsten Übels die Provinz als solche noch eine Zeitlang zugestand, zumal da die Auflösung eines Heeres wohl doch noch unter der Leitung seines Befehlshabers, der auch alle Strukturen beherrschte, am reibungslosesten vonstatten ging.
Auch bringt Caesar in seinem bellum civile trotz der unzähligen Vorwürfe gegen seine politischen Gegner (v.a. Caes. civ. 1,7), abgesehen von der Verkürzung seines imperium im Zusammenhang mit dem Streit um das Privileg der ratio absentis (s. in B) II.) a) Die Absicherung des direkten Übergangs vom Prokonsulat zum zweiten Konsulat), keinen Vorwurf wegen einer eventuellen Verkürzung seiner Statthalterschaft vor. Einerseits kann dies bedeuten, daß seine garantierte Amtszeit abgelaufen war,110 wie sich ja auch der Senat zu offensichtlich ins Unrecht gesetzt hätte, wenn der Endtermin erst im Jahr 49 gewesen wäre,111 andererseits kann dagegen eingewandt werden, daß auch das senatus consultum ultimum höchstwahrscheinlich keinen früheren Endtermin zur Heeresentlassung als den 01.03.49 vorsah, zumal da das Dauerveto der beiden caesarfreundlichen Volkstribunen vom Senat schon als Ungehorsam Caesars interpretiert werden konnte.112 Jedoch waren die Volkstribunen rechtlich selbständige Größen, die, solange keine gesetzlichen Klauseln wie in der lex Sempronia vorlagen, theoretisch gegen alles interzedieren konnten.
In zwei Ende 50 verfaßten Briefen an Atticus beschwert sich Cicero auch, daß Caesar seine Provinzen schon über den durch Volksbeschluß festgesetzten Termin hinaus behalte.113 Jedoch wägt er in Att. 7,9 die verschiedenen Möglichkeiten bezüglich des weiteren Verlaufs der Auseinandersetzung zwischen Caesar und den Optimaten ab. Dabei verwirft er in 7,9,4 schließlich die Möglichkeit, Caesar in allen seinen impudentissime aufgestellten Forderungen nachzugeben und wendet sich rhetorisch direkt an diesen, dem er vorwirft, daß seine Statthalterschaft schon abgelaufen sei.114 Man kann diese Passage aber aufgrund ihres Kontextes auch als einen fiktiven Dialog sehen, der in die Zukunft weist, so daß diese Stelle nichts über den Endtermin der Statthalterschaft aussagt.115
Bezüglich Att. 7,7 meint Elton,116 daß der Satz ut Caesari non succederetur in 7,7,5 dafür spreche, daß Cicero hier in die Zukunft weise, da hier sonst ut Caesari non successum esset stehen müßte. Es geht in diesem Nebensatz jedoch ausdrücklich um die negative Feststellung, daß bis zum Zeitpunkt der Niederschrift des Briefes noch keine Nachfolge Caesars geregelt werden konnte, so daß auch in absehbarer Zukunft wohl keiner Caesar nachfolgen werde. Dies entspricht auch den Regeln der consecutio temporum für konjunktivische Nebensätze, da der Inhalt des Nebensatzes die gleich- und nachzeitige Folge des übergeordneten Satzes darstellt, der wiederum indirekt ausdrückt, daß es sich um die Folge des Nichtzustandekommens eines entsprechenden Beschlusses bezüglich der Nachfolge Caesars handelt. Gleichzeitig drückt diese Nachzeitigkeit zum Perfekt auch aus, daß bis zum Zeitpunkt der Niederschrift des Briefes jede Möglichkeit der Nachfolge Caesars zunichte gemacht worden war. Daher sagt der Satz auch wenig über den Endtermin, der schon längst vorüber gegangen sein kann, aus, da er nichts im positiven Sinne sagt, nämlich ob beim Zustandekommen eines Beschlusses eine Ablösung Caesars schon möglich gewesen wäre. Das Prädikat des cum-Satzes, transierit, im Satz Exercitum retinentis cum legis dies transierit rationem haberi? (Cic. Att. 7,7,6) kann nun in doppelter Weise interpretiert werden. Einerseits kann es sich, wenn man die übergeordnete Verbform trotz der Existenz von genaueren Ausdrucksformen wie dem Infinitiv Futur als einen futurischen Ausdruck betrachtet, um ein Futur II zusammen mit einem cum temporale handeln. Dann wäre der Termin zum Zeitpunkt der Verfassung des Briefes noch nicht vorüber.117 Andererseits steht diese Form auch für den Konjunktiv Perfekt, der dann mit einem cum concessivum verbunden sein kann, was semantisch auch gut paßt. Das würde bedeuten, daß der Endtermin in einem vorzeitigen Verhältnis zur Haupthandlung des Satzes steht.
Zusammenfassend kann man nun zu diesen drei problematischen Cicerostellen auf jeden Fall sagen, daß sie sich in beide Richtungen deuten lassen, so daß ihre Aussagekraft bezüglich des Endtermins sehr gering ist und sie auf keinen Fall dem Ansatz des 01.03.50 widersprechen.
Schließlich erwähnt Hirtius noch, daß die Aufständischen von Uxellodonum sich 51 bewußt waren, daß es nur noch diesen einen Sommer gegen Caesar durchzuhalten gelte. Außerdem habe Caesar eben deswegen die Belagerung persönlich in die Hand genommen, um den Krieg rechtzeitig zu beenden.118 Ein Ansatz ist nun, daß sich una aestas auf den aktuellen Sommer bezog, so daß der Endtermin sich im Jahre 50 befand.119 Anhänger des 01.03.49 meinen dagegen, daß mit diesem Ausdruck der folgende Sommer gemeint war, da sich der Sommer dem Ende zuneigte, so daß das Heer kurz darauf in die Winterlager verlegt wurde (Hirt. Gall. 8,46,3-4). Zudem wird an einer anderen Stelle des bellum Gallicum der Restsommer durch exigua parte aestatis bezeichnet.120 Die beiden Passagen sind jedoch von zwei verschiedenen Autoren, nämlich Hirtius und Caesar, verfaßt worden. Dabei weicht Hirtius, auch wenn er den Stil Caesars nachahmt, zuweilen in der Verwendung und Bedeutung einzelner Vokabeln ab wie z.B. in der Bedeutung von provincia. Daher beweist die Abweichung in einer Phrase, wie sie auch hier vorliegt, nicht, daß verschiedene Bedeutungsinhalte gemeint sind. Außerdem ist der Kontext im vierten Buch ein anderer als im achten, da es in ersterem nicht darum geht, daß ein bestimmter Zustand bzw. Vorgang nur noch einen Sommer lang andauerte, sondern daß, gleich wie viele derartige Sommer noch kamen, dieser aktuelle Sommer fast vorbei war, als Caesar trotz der vorgerückten Jahreszeit seine Erkundungsexkursion nach Britannien startete.121
Die technische Seite dieser Belagerung läßt keine sicheren Rückschlüsse zu. Denn Uxellodonum war aufgrund seiner topographischen Lage praktisch nicht zu erstürmen (Hirt. Gall. 8,32,1-33,1), verfügte über eine gute Verproviantierung (Hirt. Gall. 8,40,1) und besaß außerdem direkt an den Stadtmauern eine ergiebige Wasserquelle (Hirt. Gall. 8,41,1), die anscheinend zur Versorgung der Bevölkerung ausreichte. So konnten die Einwohner von der Möglichkeit eines sehr langen Durchhaltens ausgehen, da sie wohl kaum damit rechneten, daß Caesar ihnen unterirdisch die Wasserzufuhr der Quelle umleiten würde (Hirt. Gall. 8,41,4 & 8,43,4-5), zumal da ein oberirdischer Versuch der Römer zur Kontrolle dieser Quelle gescheitert war (Hirt. Gall. 8,41,2-3 & 5-6 & 8,42,1-2).122 Da eine reine Zernierung über mehrere Jahre andauern konnte,123 sagt die Zuversicht der Belagerten an und für sich nicht viel über den Endtermin aus, außer daß sie im Falle des 01.03.50 als Enddatum um einiges verständlicher wäre als im Falle des 01.03.49. Allerdings fanden diese Ereignisse nach der Belagerung Alesias und damit nach der Niederschlagung des gesamtgallischen Vercingetorix-Aufstandes von 52 statt. Daher nimmt Stone124 wohl zu Recht an, daß es nicht gerade sehr wahrscheinlich war, daß sich nach dieser Erfahrung mit Caesars Kriegsmaschinerie noch gallischer Widerstand erheben konnte, wenn es noch eine ganze Kriegssaison durchzuhalten galt. Schließlich spricht auch die Eile Caesars, der trotz der geringen Anzahl verbleibender Sommertage und damit zur Kriegsführung geeigneter Tage noch persönlich an Ort und Stelle eilte, dafür, daß mit una aetate der Sommer von 51 gemeint sein muß. Denn die Belagerung hätte bei Einbruch des Winters die Belagerer in eine äußerst schwierige Lage bringen können.125 Der Versuch, Caesars Eile damit zu erklären, daß er eine Verbreitung der Unruhen über ganz Gallien, die bei einem zu großen Erfolg der Aufständischen zu befürchten gewesen wäre, verhindern wollte,126 wird dadurch hinfällig, daß Caesar den gallischen Krieg nach Alesia anscheinend für im wesentlichen beendet hielt, da er bei diesem Ereignis mit seinen Schilderungen endet.
Die in diesem Abschnitt angeführten zeitgenössischen Quellen lassen sich also bezüglich der Frage nach dem Endtermin der Statthalterschaft Caesars allesamt in beide Richtungen deuten. Daher eignen sie sich in keiner Weise als Grundlage dafür, den 01.03.50 oder den 01.03.49 auszuschließen oder wenigstens einem der beiden Daten ein deutlich größeres Gewicht zu verleihen.
Anmerkungen:
106 Marsh (1927), p. 283; s.a. Elton (1946), p. 23.
107 (1) Quaeso, quid est hoc? Mihi enim tenebrae sunt. „Cingulum“ inquit „nos tenemus, Anconem amisimus; Labienus discessit.“ Utrum de imperatore populi Romani an de Hannibale loquimur? O hominem amentem et miserum, qui ne umbram quidem umquam τοῦ καλοῦ viderit! Atque haec ait omnia facere se dignitatis causa. Ubi est autem dignitas nisi ubi honestas? Honestum igitur habere exercitum nullo publico consilio, occupare urbis civium, quo facilior sit aditus ad patriam, χρεῶν ἀποκοπάς, φυγάδων καθόδους, sescenta alia scelera moliri, „τὴν θεῶν μεγίστην ὢστ’ ἔχειν Τυραννίδα“? Sibi habeat suam fortunam! Unam mehercule tecum apricationem in illo lucrativo tuo sole malim quam omnia istius modi regna, (2) vel potius mori miliens quam semel illius modi quicquam cogitare. (Cic. Att. 7,11,1-2).
108 Elton (1946), p. 23.
109 Caesar in Gallien reverteretur, Arimino excederet, exercitus dimitteret. (Caes. civ. 1,10,3).
110 Stevens (1938), p. 196; s.a. Laqueur (1921), p. 239; Perpillou (1928), p. 279; Sealey (1957), p. 86; Stocker (1960/61), p. 247.
111 Stevens (1938), pp. 194-195; s.a. Adcock (1932), p. 17.
112 Elton (1946), p. 27.
113 Cic. Att. 7,7,6 & 7,9,4; s.a. Hirschfeld (1904), pp. 80-81 (dgg. Holzapfel (1905), pp. 110-111 und Replik Hirschfeld (1905)); Judeich (1913), pp. 1-2; Birnbacher (1916), p. V; Laqueur (1921), p. 238; Marsh (1927), pp. 282-284; Perpillou (1928), pp. 274-275; Stockton (1975), p. 238; dgg. Hardy (1918), pp. 168-169.
114 Tollamus igitur hoc quo illum posse adduci negant; de reliquis quid est deterrimum? Concedere illi, quod, ut idem dicit, impudentissime postulat. Nam quid impudentius? Tenuisti provinciam per annos decem non tibi a senatu sed a te ipso per vim et per factionem datos; praeteriit tempus non legis sed libidinis tuae, fac tamen legis; ut succedatur decernitur; impedis et ais „Habe meam rationem.“ Habe tu nostram. Exercitum tu habeas diutius quam populus iussit, invito senatu? „Depugnes oportet, nisi concedis.“ (Cic. Att. 7,9,4).
115 Jameson (1970), pp. 640-641; s.a. Holmes (1916), p. 54; Hardy (1918), pp. 176 & 182; Holmes (1923), Bd. II, p. 305; Coffin (1925/26), pp. 178-179; Elton (1946), pp. 22-23.
116 Elton (1946), p. 22; s.a. Holmes (1916), p. 54; Holmes (1923), Bd. II, p. 305.
117 Elton (1946), p. 22.
118 (2) Quorum etsi paucitatem contemnebat, tamen pertinaciam magna poena esse adficiendam iudicabat, ne universa Gallia non sibi vires defuisse ad resistendum Romanis, sed constantiam putaret, neve hoc exemplo ceterae civitates locorum opportunitate fretae se vindicarent in libertatem, (3) cum omnibus Gallis notum esse sciret reliquam esse unam aestatem suae provinciae, quam si sustinere potuissent, nullum ultra periculum vererentur. (4) Itaque Q. Calenum legatum cum legionibus reliquit; ipse cum omni equitatu quam potest celerrime ad Caninium contendit. (Hirt. Gall. 8,39,2-4).
119 Hirschfeld (1904), p. 83; s.a. Perpillou (1928), p. 275.
120 Caes. Gall. 4,20,1; s.a. Holzapfel (1905), p. 112; Hofmann (1857), p. 16; Mommsen (1857), pp. 40-41 bzw. (1965), p. 128; Holmes (1916), pp. 52-53; Holmes (1923), Bd. II, p. 304; Coffin (1925/26), p. 178; Adcock (1930), p. 4; Adcock (1932), p. 15; Sealey (1957), p. 83; Meusel (1962) ad Gall. 8,39,3.
121 Exigua parte aestatis reliqua Caesar, etsi in his locis, quod omnis Gallia ad septentriones vergit, maturae sunt hiemes, tamen in Britanniam proficisci contendit, quod omnibus fere Gallicis bellis hostibus nostris inde sumministrata auxilia intellegebat. (Caes. Gall. 4,20,1); s.a. Marsh (1927), pp. 286-287 c. p. 287 n. 1. Auch bei den anderen vorgebrachten Belegstellen (Caes. Gall. 4,4,7 & 5,31,4 & 7,10,1 & 7,25,1 & civ. 3,28,6) liegt analog zu dem hier behandelten Beispiel die Betonung auf dem Rest des Winters bzw. der Nacht und nicht auf der Anzahl.
122 s. Liebenam (1909), p. 2238; Veith (1906), pp. 210-211.
123 Liebenam (1909), p. 2225; s.a. Veith (1906), p. 54; Maier (1965), p. 965.
124 Stone (1928), p. 199.
125 Birnbacher (1916), pp. VII-VIII; s.a. Stone (1928), pp. 198-199.
126 Holmes (1923), Bd. II, p. 304.